Die Ankunft
Nimm dir einen
beliebigen Gegenstand und laß ihn fallen. Wo landet er? Genau, du
Schlauberger, unten. Und so kam auch ich da an, wo eigentlich die
meisten meiner Wege enden. In einer Bar.
Ich zog den Bauch ein,
drückte die Brust raus und bewegte mich mit der Geschmeidigkeit
eines rachitischen Seesterns Richtung Theke, an der noch zwei, drei
Verlierer meiner Kragenweite rumhingen. Unterwegs wurde ich von der
Erkenntnis überrascht, plötzlich wieder bekleidet zu sein. Ich
hatte ja schon befürchtet, mir wie der Terminator von irgendwelchen
Rockern ne Kutte borgen zu müssen. Da hatte der große Regisseur
wohl Erbarmen gehabt oder nur keine Lust, sich von Cameron
irgendwelche Tricks abzugucken. Noch nie war ich über meine
vergammelten Shorts und das uralte Shirt so froh gewesen wie jetzt.
Hey Hose, hallo Hemd, viel zu lange nicht mehr gesehen, wie geht‘s,
hab euch vermißt! Zusammen mit den beiden kehrte auch mein alter
Mumm zurück. Ich war voll in meinem Element. Das hier war eine
Kneipe, ich war Hank Chinasky. Das Wasser und sein Fisch.
Der fettfingrige Kerl,
der am Zapfhahn stand, sah aus, als wär er schon vor der Empfängnis
für diesen Job konzipiert worden. Ihr wißt schon, er hatte diesen
speziellen Barmixer-Blick drauf, der einem auf zehn Meter ansieht,
welche Biersorte man bevorzugt. Er begrüßte mich.
„Hi,
deine Visage kenn ich noch nicht. Zum ersten Mal dabei?“
„Yep.“
„Kann
noch ne Weile dauern, bis ihr eine komplette Party zusammen kriegt,
um die Zeit geht kaum jemand online. Willst du‘n Drink, während du
wartest?“
„Kann
nicht schaden. Hab aber leider keinen Penny bei mir.“
„Das
is schlecht.“
„Yeah.“
„Ich
würd dir ja gerne anschreiben, bin schließlich kein Misantropf oder
wie die Dinger heißen. Aber weißt du, na ja... - bist zum ersten
Mal hier, und der Boss von dem Laden hier sieht das nicht so gern,
falls du verstehst, was ich meine. Ich sag mal, wenn der jetzt
reinkommt und merkt, daß ich dir eins ausgebe, dann kriegt der nen
Anfall. Der setzt mich sofort wieder auf die Straße, und das wär
echt mies, verstehste? Ich brauch den Job hier. Hab ne Frau und drei
Kinder und die Hypotheken auf das Reihenhaus sind noch nicht
abgestottert.“
„Sapperlot,
Alter, gleich drei Kids?“
„Jau,
drei von der Sorte. Ein Junge und zwei Mädchen. Aber hey, umgekehrt
wär‘s mir nicht lieber gewesen.“
„Kann
ich gut nachvollziehen.“ Ich nickte verständnisvoll.
„Weißt
du, wenn ich die drei Blagen nicht hätte und meine Alte, und das
Reihenhaus und den Kombi auf Anzahlung und die
Risikolebensversicherung und diese ganzen Verpflichtungen, dann wär
mir egal, was der Boß sagt. Dann würd’ ich dir hier einen
einschenken, und nicht zu knapp. Schließlich sieht man dir an, du
bist einer, der seine Trinkschulden begleicht. Ja, nee, nee, ich kenn
mich da ein bißchen aus, ich weiß, wem man trauen kann, Kumpel, und
bei dir bin ich mir da hundertprozentig sicher. HUNDERTPROZENTIG!
Aber wie gesagt…“
„… der
Typ, dem der Laden gehört, ist dagegen.“
„Du
sagst es. Ich meine, wenn du Stammgast oder so wärst, dann sähe die
Sache anders aus, Stammgäste können hier ohne Probleme anschreiben
lassen. Aber ich kenn dich schließlich nicht, oder?“
„Da
is was dran.“
„Ja,
nix zu ändern.“
„Hhm.“
„Sag
mal, wie heißt du überhaupt?“
„Hank.“
„Hank.
Und weiter?“
„Hank
Chinasky.“
„Ich
heiße eigentlich Thomas Winston Harry Porter, aber alle nenen mich
nur Winthrop. Hank, ich bin erfreut, dich kennen zu lernen. Hier
meine Hand!“
„Ich
seh aber kein Bier in dieser Hand.“
„Oh
Hanky-Boy, komm schon! Sagte doch, mein Chef, der ist echt kleinlich
in solchen Sachen.!“
Der Typ tat mir leid. Er
war’n armseliges, kleines Arschloch, und das Traurige daran war,
daß er’s gar nicht realisierte. Ich gab ihm also die Hand.
„Okay
Winthrop, nett dich kennenzulernen. Wo kann man hier shiffen?“
Winthrop deutete nach
links.
„Einfach
dem Geruch nach. Kannst es gar nicht verfehlen. Und wundere Dich
nicht über Babydoll Moni, die hat zwar nen Hau, tut aber keinem
was.“
„Babydoll
wer?!“
„Wirst
sie schon nicht verpassen…“
Babydoll Moni war ein
abgebrochener Typ, der vorne bei den Waschbecken in der Pißabteilung
abhing und gerade dabei war, sich vor dem Spiegel Lippenstift in den
Bart zu schmieren.
Während ich meine ein,
zwei Liter abstellte, quatschte er mich von der Seite an.
„Hallo
schöner Abenteurer, ich bin Moni. Wie isses, machen wir zusammen ne
Party auf?“
Winthrop lag ganz
richtig, Moni hatte garantiert ne weiche Birne. In meinem Leben war
ich noch nie schön genannt worden, und das hatte seine Gründe.
„Ich
bin grad nicht so in Feierstimmung, Babydoll. Vielleicht ein
andermal.“
„O,
Jesses, Maria und dreimal gequirlte Orkkacke!“, quakte er. „Nie
will einer mit mir losziehen, nur weil ich ne Frau bin!“
„Nimms
nicht so tragisch, Babydoll, es wird schon noch der Richtige für
dich vorbeikommen.“
„Den
Spruch kenn ich schon, du hälst dich wohl für originell, was? Es
wird nie der Richtige vorbeikommen! Seit ich hier bin, ist noch nie
ein Zwergenkerl durch diese Tür gekommen, noch nie! Ich glaub fast,
Zwerge gehen überhaupt nicht online.“
„Da
kenn ich mich nicht so mit aus.“
„Ich
schon, glaub mir. Was ist – nimmst du mich mit, wenn ich dich mal
an meine Titten ranlasse?“
„Hör
mal, Moni, das ist‘n nettes Angebot, aber ich bin heute nicht so in
Stimmung, weißte?“
„Oder
ich blas dir einen, da bin ich große Spitze drin!“
„Nee
laß mal, ich muß rüber, mein Bier wird sonst kalt.“
„Ach
verdammt!“
Zurück an der Theke
fragte ich Winthrop:
„Hör
mal, seit wann bildet sich dieser Moni denn ein, er sei ne Ische?“
„Die
bildet sich das nicht ein, die ist eine.“
„Paß
auf Winthrop, mir kannst du keinen Bären aufbinden! Ich hab hier
noch nix zu trinken gekriegt, bin also vollkommen klar im Kopf, und
in dem wiederum habe ich Augen. Ich weiß, was ich auf‘m Klo
gesehen habe. Das war’n Einsfuffzichtyp mit ’nem Bart, der ihm
bis zum Bauchnabel reichte. Da langt dann ein bißchen Lippenstift
nicht als Verkleidung.“
Winthrop grinste.
„Man
merkt, daß du zum ersten Mal hier bist. Zwergenfrauen haben genauso
wie Zwergenmänner Bärte. Hättest sie mal etwas genauer checken
sollen.“
Ich zurück zur
Pinkelabteilung.
„Moni,
schätze, ich sollte mir doch mal deine Möpse angucken.“
„Nimmst
du mich dann mit in deiner Party?“
„Hhmm
-.“
„Na
gut.“
Der Typ fummelte unter
seinem Bart an der Jacke rum, dann kämmte er seine Barthaare zur
Seite, und was da zum Vorschein kam – naja, keine Frage, das waren
definitiv Titten. Zwar nicht preisverdächtig, sondern ziemlich
faltig, ledrig und eher inSpritztüten- als in Apfelform. Aber Mutter
Natur ist eben nicht immer in Topform.
„Du
bist wirklich ne Frau?“, wollte ich wissen.
„Hat
wer was anderes behauptet?“
„Nö.“
„Und,
was nun?“
Ich finde, man soll
mitnehmen, was man kriegt.
„Ich
hab‘s mir überlegt, wenn du mir einen bläst, dann äh – dann
machen wir zusammen eine Fete.“
„Ich
hab keine Lust auf Feten. Ich will in eine Party.“
„Ist
doch das gleiche, oder?“
„Nicht,
daß ich wüßte.“
„Für
mich schon.“
„Versprochen?
Du nimmst mich mit in deiner Party?!“
„Jaja,
klar, kein Problem, Party, Fete, was immer du willst.“
„Okay.
Wir sind im Geschäft.“
Babydoll Moni langte
sich meinen Truthahnhals raus, und er verschwand in diesem Dickicht
von Bart. Sie brauchte sich kaum runterzubeugen, und zugegebenermaßen
machte sie es gar nicht schlecht. Kannte sich aus, hatte diese
spezielle Technik, wußte, worauf es ankam.
„Hey,
Babe, du hast das richtig drauf!“
„Zweihundert
Jahre Übung, das zahlt sich aus...“
Nachdem ich gekommen
war, wischte sie sich den Glibber mit einem Papierhandtuch aus dem
Bart. Irgendwie kam mir das fehl am Platz vor. Das Papierhandtuch,
meine ich. Moni taxierte mich.
„Du
hattest es aber ganz schön nötig, was?“
„Solche
Portionen sind bei mir normal.“
„Okay,
aber denk an deinen Teil der Abmachung. Wenn ihr loszieht, bin ich
mit dabei.“
„Klar
doch.“
„Gibst
du mir dein Ehrenwort?“
„Was
immer du willst, Moni-Babe.“
Zurück an der Theke
bemerkte ich, daß inzwischen noch ein paar andere Typen in die Bar
gekommen waren. Zwei hippiemäßige Knäblein, noch gar nicht richtig
trocken hinter den ziemlich spitzen Ohren, sowie ein Schwarzer mit
wasserstoffblonden Haaren und absolut coolem Outfit. Er stand allein
an einen Holzpfosten gelehnt, und mir schien es so, als wenn ihn
keiner im Raum ausstehen konnte. Winthrop, der den schwuchteligen
Jungs gerade irgendwelche bonbonfarbenen Coktails rüberreichte,
drehte ihm absichtlich den Rücken zu. Nur, um ihn nicht bedienen zu
müssen.
Außenseiter sind mir
immer sympathisch, also ging ich zu dem Typen rüber.
„Hallo
Kollege, was geht so ab?“
„Mein
Name ist Bayan da‘i Baiornne, Mitglied des vergessenen achten
Hauses von Tayonerranzan. Sucht Ihr vielleicht noch Männer für Eure
Gruppe, Fremder?“
„Ah
– ja. Also...hhmm. Kannst mich Hank nennen. Wie kommste darauf, daß
ich zu irgendwelchen Männergruppen gehe?“
„Eurem
Sinn für Humor kann ich leider nicht folgen, Oberflächenbewohner.
Solltet Ihr es Euch indes anders überlegen, so wisset, daß ich der
beste Bogenschütze der Drow bin und mein Bogen Snorpaenre, der Bote
der Stille, ist gefürchtet von Tiefwasser bis Calimhafen. Wenn Ihr
zu Eurer Fahrt aufbrecht, so wisset, ich bin bereit, auf Eurem Wege
für eine Weile zu wandeln.“
„Hhm.
Scheinst ein echt harter Brocken zu sein. Aber die Jungs da drüben
machen den Eindruck, als könnten sie dich nicht ausstehen. Warum?“
„Die
Waldelfen aus dem Süden verabscheuen uns Drow. Sie sehen nur meine
Hautfarbe.“
„Tja,
diese Rassisten, nicht auszurotten. Gandhi, Martin Luther King oder
Malcom X, alles für die Katz. Die Südstaatler werden‘s nie
kapieren. Aber der Typ an der Theke muß dich bedienen, das steht so
im Gesetz. Wenn du willst und ein paar Mäuse rausrückst, besorg ich
uns ein Bier.“
Er langte in eine Tasche
seines abgefahrenen Mantels und drückte mir eine einzige Münze in
die Hand. Eine Münze nur, aber ich brauchte nicht erst drauf zu
beißen, um zu wissen, daß es sich dabei um Gold handelte. Mal was
anderes. Na, ich war gespannt, wie Winthrop mir da Wechselgeld
rausgeben würde.
Gekonnt ließ ich die
Münze so hochschnippen, daß sie sich’n paarmal drehte und fing
sie wieder auf. Hier kam Chinasky, um ein Bier zu bestellen und war
definitiv locker in den Knien. Plirrrrring! Ich schnippte Winthrop
die Goldmünze rüber.
„Hey,
Kumpel, mach mir doch bitte mal zwei kühle Weizen klar, eins für
mich, und eins für meinen Kollegen da drüben, ja?!“
Winthrop blitzte mich
aus plötzlich zusammengekniffenen Augen an.
„Meinst
du mit Kollege diesen Schwarzwichser da hinten? Drow werden hier
nicht bedient.“
„Was
ist das denn bitteschön für eine Rassistenkacke? Schon mal was von
Gleichberechtigung gehört? Von Bürgerrechten, von
Minderheitenschutz, davon, daß Diskriminierung als Straftatbestand
zu werten ist?“
„Schon
gut, immer locker bleiben! Komm mir nicht mit Bürgerrechten,
Grundgesetz und Uno-Charta, ja? Wir sind hier im Cyberspace, da
gibt‘s das alles nicht. Hier gelten andere Gesetzte, und eins davon
lautet: Laß dich nicht mit den Drow ein.“
„Du
brauchst dich auch nicht mit ihnen einzulassen. Gib mir einfach zwei
Bier und das Wechselgeld raus, der Rest geht dich überhaupt nix an,
right?!“
„Na
gut, ich hab dich jedenfalls gewarnt. Hier sind deine zwei Bier, und
hier ist der Rest.“
Er schob mir zwei
Maßkrüge rüber, die allerdings etwas sparsam gezapft waren, und
ließ eine Hand voll Kleingeld hinterherrutschen. Ich steckte das
Geld in die Shorts, griff mir die Gläser und wollte zurück zu dem
blonden Nigger.
Eine Rothaarige, die ich
vorher noch nicht gesehen hatte, trat mir dazwischen.
„Hi
Süßer, ich bin die Sally, spendierste mir nen Drink?“
Sah gar nicht wie ne
billige Nutte aus. Was für eine Stimme! Was für ein Duft! Was für
eine umwerfende... Und ich hatte meinen Saft bei Moni vergeudet! Es
ist doch immer so, nicht wahr?! Jahrelang herrscht Dürre, man fragt
sich schon, ob man ihn überhaupt noch hochkriegen würde für den
Fall, daß. Und dann plötzlich – pladder, pladder! – schüttet
es wie aus Eimern, um im Bild zu bleiben. Frauen, wohin du guckst.
Das Ganze nennt sich dann Ironie des Schicksals, aber es sind die
Götter, die sich zynisch einen drauf abwedeln, wenn sie sich solche
„Zufälle“ ausdenken. Na, diese Braut schien ohnehin eine Liga
höher als ich zu spielen, mit ihren Designer-Beinen und so.
„Sorry
Baby, aber ich muß da rüber zu einer geschäftlichen Besprechung.
Keine Zeit, mich zu amüsieren. Ein andermal vielleicht.“
„Wenn
du mir einen ausgibst, geh ich mit deiner Party mit.“
So
langsam dämmerte es mir, daß man hier eine leicht modifizierte
Sprache benutzte. Alle Welt erzählte einem was von Partys, mit denen
man gehen könne, statt auf
sie oder zu
ihnen zu gehen. Da mußte etwas Wichtiges dahinterstecken, wenn alle
nicht anderes im Kopf hatten. Leider kriegte ich von solchen
komplizierten Reflexionen immer Sodbrennen. Warum nachdenken, wenn
man sich etwas einfach erklären lassen kann?
„Sag
mal, Sally-Babe… Alle hier erzählen mir was von Partys und so. Ich
raff das nicht so richtig. Was genau versteht ihr hier unter
‚Party‘?“
„Na
das übliche eben, was soll die Frage denn nu?“
„Schon
klar, das übliche. Aber ich bin neu hier, hab den lokalen Slang noch
nicht so drauf, verstehste? Erklär doch einem armen, alten
Fahrensmann mal, was ihr hier unter Party so versteht.“
„Naja,
eine Gruppe eben, mit der man durch die Gegend zieht. Is doch
logisch, oder?“
„Yeah,
das macht Sinn. Und warum sprecht ihr dann nicht von Gruppen,
sondern von Partys?“
„Weil
das so im Handbuch steht, klar?!“
„Ah
- ja, das is‘n Argument.“
Ich wollte sie stehen
lassen, um zu meinem edlen Spender zu gelangen, aber sie hielt mich
am Arm fest: „Was is nun, willst du mich in der Party haben oder
nicht?“
„Nö,
danke, ich habe nicht vor, durch die Gegend zu ziehen.“
„Wirst
du aber müssen.“
„Hä?
Wieso müssen? Wir leben in einem freien Land ohne Sperrstunde, da
kann mich keiner zu irgendwas zwingen.“
„Na,
dann erklär mal Deinem Drow-Liebling, wieso du kein Wechselgeld
mitbringst…“, grinste sie mich an.
Und weg war sie.
Zusammen mit meiner
guten Laune, denn als ich reflexhaft in die Taschen meiner Bux griff,
waren da nur noch ein paar Cracker-Krümel vom letzten Abendbrot
übrig. Diese miese kleine Schlampe! Und was meine Reflexe anging...
Ich hatte mit beiden Händen gleichzeitig in die Hosentaschen
gegriffen und die Bierhumpen vorher abgestellt. Auf solider Luft –
wo sie sich nicht allzulange festkrallten, sondern schwungvoll ihren
Inhalt auf den Boden und die Füße einiger Umstehender enleerten, um
dann fröhlich durch die Gegend zu kullern. Kam sehr gut an, diese
Performance. Die Südstaaten-Milchbubis, die ein paar Spritzer
abgekriegt hatten, kniffen ihre Augen zusammen und machten einen
Gesichtsausdruck Marke Bestattungsunternehmen. Ein bulliger Typ mit
rasierter Glatze, der von irgendwoher aufgetaucht war, manipulierte
an seinen nietenbesetzten Armbändern rum und ich konnte mir eben
diese Nieten – lange, spitze Dinger, mehr Stacheln als Nieten –
schon lebhaft in den Zwischenräumen meiner eh schimmeligen Zähne
vorstellen. Am meisten Sorgen bereitete mir im Moment aber der blonde
Freak, der einfach zu relaxed an seinem Holzpfosten lehnte, die Arme
verschränkt, und mit seinen violetten Guckern zu mir rüberlinste.
Ich kannte diese Positur genau, die hatte ich schon dutzende Male
gesehen, bevor man mir ne Abreibung verpaßte. Es war diese
Was-soll-ich-mich-da-groß-erregen-ich-krieg-deinen-Schwanz-auf-jeden-Fall-zu-fassen-Geste,
es war diese Lässigkeit, die ihn vor den anderen Amateuren als Profi
auszeichnete. Als der Glatzkopf und die Milchbubis Anstalten machten,
ohne weiteren Kommentar auf mich loszumarschieren, piff der blonde
Blacky kurz, wie wenn er einen Hund zu sich rufen wollte, und machte
eine kurze Bewegung mit zwei Fingern, die die Lyncharmee mitten in
der Bewegung stoppte.
„Dieser
Mann gehört Bayan da‘i Baiornne!“, sagte er leise, so zwischen
den Zähnen hindurch.
Die Milchbubis und der
Glatzkopf guckten sich reihum an. Als sie sahen, daß sie strategisch
in der Unterzahl waren, gaben sie’s auf und drehten sich zu ihren
Getränken um. Niemand hier schien Drow zu mögen, aber anlegen mußte
man sich nicht gleich mit ihnen.
Ich schätzte den Weg
bis zum Ausgang ab, kam jedoch zu dem Schluß, daß ich dafür auf
jeden Fall länger brauchen würde als das Wurfmesser, das in Bayans
Hand gerade so herumschaukelte. Also ging ich lieber hin, um ihm die
Sache zu erklären.
„Hör
mal, Kumpel, da hat mich gerade so’ne Rotblonde abgezockt, hast Du
das gesehen?“
„Ich
warte auf mein Bier und das Wechselgeld, Oberflächenbewohner. Und
Bayan da‘i Baiornne ist es nicht gewohnt, lang zu warten auf das,
was ihm zusteht.“
„Yeah,
ich weiß. Hör mal Bruder, da stehen wir tatsächlich vor einem
Problem...“
„Das
Problem scheint Ihr zu sein, Bleichgesicht. Wir Drow haben für
Probleme eine sehr einfache und effiziente Lösung.“
„Okay,
okay, Chef, gib mir fünf Minuten. Ich brauch nur nen Moment, um mir
dieses Flittchen zu schnappen, eine Sekunde, bin gleich wieder da!“
„Bayan
da‘i Baiornne wird Euch finden, wenn Ihr versucht, hier einen
Abgang zu machen, Veruntreuer des Wechselgeldes! Niemand betrügt
einen Sproß des achten Hauses! Auch wenn es inzwischen vergessen
ist...”
Wenn ich eins nicht
ausstehen kann, dann ist das Ärger. Da gewöhnt man sich nie so
richtig dran, selbst wenn man dauernd welchen hat. Ärger mit Frauen
topt den normalen Ärger sogar noch, und Ärger mit unbekannten
Rotblonden ist am schlimmsten, dagegen ist Krätze der reinste Grund
zum Feiern. Nun gut – lief ich halt mal wieder ner Frau hinterher.
Bloß – wohin? Ich wandte mich an die Auskunft.
„Sag
mal, Winthrop, alter Knabe, hast du vielleicht mitgekriegt, wohin
sich dieses süße Sahnestückchen Sally verkrümelt hat?“
„Frag
doch deinen neuen Kumpel mit dem Tintengesicht, vielleicht kann der
dir weiterhelfen. Wozu hat man Freunde?!“
„Danke,
Bruder, Typen wie du geben einem das Gefühl geliebt zu werden. Hör
mal, der Kerl massakriert mich, wenn ich ihm sein Geld nicht
zurückbringe!“
„Tja!“
Winthrop griente. „Wer sich zu Hunden bettet, darf über Flöhe
nicht klagen!“
„Danke
Bausparfuzzi, du mich auch!“
Hinten in der
Urinalabteilung hing Babydoll Moni immer noch vor’m Spiegel.
„Hör
mal, Moni...“
„Geht’s
los ? Machen wir uns mit der Party auf’n Weg ?!“
„Naja,
nen Moment brauch ich noch, ich sag dir rechtzeitig Bescheid okay? Ne
andere Frage – kennst du eventuell die Sally, so’ne rotblonde...“
Falsche Frage.
„ICH
FASS MICH AN DEN KOPF! Ihr Macker seid doch alle gleich! Was wollt
ihr nur alle von dieser eingebildeten Schnepfe, ich krieg das
überhaupt nicht auf die Reihe!! Diese blöde Tusse, diese Zimtzicke!
Eine Nase, daß es reinregnet, so hoch in der Luft, Bussi hier, Bussi
da, tüdelüt, tirili! Hach, ich bin die geile Sally, na Süßer,
haste schon einen hoch? Hier guck mal, meine Beine, hier mein
Popöchen, hach, binnich nicht eine ganz Schnuckelige...“
„Moni,
ich unterbreche dich ja nur ungern in deiner Karaoke-Vorstellung,
aber diese Sally hat mich beklaut und ich hätte gern das Geld
zurück, verstehste? Nix mit tüdelüt! Die kriegt ein paar
gescheuert! Wenn ich den Kies nicht wiederkriege, dann hängt mir
wirklich die Kacke am Stecken und aus unserer Party wird unter
Garantie nichts. Also, Babydoll, sei mal ein wenig kooperativ, ja?“
Moni guckte mich
skeptisch an.
„Du
willst sie gar nicht pimpern?“
„Großes
Indianerhäuptlingsehrenwort!“ Ich kreuzte hinter dem Rücken die
Finger.
„Du
willst diesem Prinzesschen die Visage polieren?“
„Wenn
sie mir meinen Kies nicht pronto zurückübereignet, dann setzt’s
was!“
„Okay,
das is’n Wort! Ich bin auf deiner Seite. Sally hat gleich nebenan
in dem Haus oben ein Zimmer. Da kommste allerdings nicht auf die
normale Tour rein. Man muß hier vom ersten Stock raus aufs Dach
klettern und dann drüben an der Regenrinne rauf. Das Süßstoff-Mädel
hat so’nen Spleen, hält sich für die Königin der Edeldiebe und
benutzt grundsätzlich keine Türen, wenn’s auch durchs Fenster
geht.“
Im ersten Stock war
niemand zu sehen. Ich lugte in eins der Zimmer. Dann in ein zweites.
Da schlief ein abgebrochener Bärtiger und sägte, daß die Wände
zitterten. Sah aus wie eine Schwester von Moni. Das dritte Zimmer
hatte kein Fenster nach draußen. Das vierte Zimmer schon. Aber da
drin tigerte auch ein nach teurem Deo duftender Schnösel rum.
„Können
Sie nicht anklopfen? Was ham Sie hier überhaupt zu suchen? Wenn Sie
nicht sofort draußen sind, ruf ich die Wache!“
Ich war sofort draußen.
Fünftes Zimmer. Wieder kein Fenster. Dafür stand da eine
altmodische Kommode, Kirschholzfunier, Metallbeschläge, Intarsien
aus Elfenbein und Ebenholz. Das volle Antiquitätenprogramm. Kein
Mensch war auf dem Gang zu sehen. Ich zog am Knauf einer Schublade.
Nicht abgeschlossen. Reingucken kostet ja nix. Drinnen lag eine
Literflasche mit einem alten Etikett. Schien was ganz Edles zu sein,
Cognac vielleicht oder was in der Richtung. Gewohnheitsmäßig
steckte ich mir die Flasche ein. Daneben lag ein kleiner Beutel, der
oben mit so einem Zugband verschlossen war. Ich prokelte ihn auf.
Drinnen in dem Beutel – waren bestimmt zwanzig Goldstücke!
GOLDSTÜCKE!!! Die... – die mußte da jemand für mich reingelegt
haben. Rockefeller. Rothschild. Onassis. Der Weihnachtsmann. Gott. Da
brauchte ich ja gar nicht mehr der hübschen Sally hinterherzuturnen,
da hatte ich ja genug Zaster, um...
„He
da! Bleibe er stehen auf der Stelle!“
Ich weiß wirklich
nicht, wo die hergekommen waren, und hätte schwören können, kein
noch so winziges Geräusch auf der Treppe oder draußen auf dem Flur
gehört zu haben. Sie standen plötzlich neben mir, zwei Kerle, in
voller Kampfmontur, Kreuzungen aus Arnold Schwarzenegger und Michael
Jordan. Sie versperrten mit ihren breiten Schultern den Weg nach
draußen und daher dachte ich, ich sollte mir vielleicht mal anhören,
was sie so zu sagen hätten.
„Wir
sind die Mitglieder der Kerzenburg-Wache, und Ihr, Fremdling, seid
des gemeinen Diebstahls angeklagt und überführt! Was habt Ihr zu
Eurer Verteidigung vorzubringen?!“
„Die
Tür stand offen.“
„Ausrede
abgelehnt. Ihr könnt wählen: Kopf ab oder her mit allem Geld,
welches Ihr bei Euch führt!“
„Ich
führe, eigentlich und genau genommen, überhaupt kein Geld bei mir.“
Ich hob das Goldsäckchen hoch. „Außer dem hier, aber das lag ja
dort in der Schublade, dahinein wollte ich’s auch grad wieder
legen.“
„Versucht
nicht, uns zu täuschen! Ihr habt dreißig Goldstücke in Eurem
Inventar, die sind hiermit konfisziert!“
„Hä?!
Inventar? Wovon redet ihr?!“
„Von
Eurem Inventar eben.“ Der Wortführer der beiden Wächter schien
etwas durcheinander. „In Eurem Inventar wurden dreißig Goldstücke
gefunden, welche hiermit beschlagnahmt werden. Jetzt habt Ihr nur
noch die Stabschleuder im Inventar.“
„Ich
versteh nur noch Bahnhof. Was und wo ist denn dieses Inventar?“
„Na,
Euer Inventar eben! Und es ist dort, wo Ihr es abgelegt habt, vorn am
Eingang in die Wirtsräume. Sieht aus wie ein Rucksack...“
„Rucksack?
Ich hab keinen Rucksack.“
„Jeder
hier hat einen Rucksack, klar?!“ Der Typ schien langsam ärgerlich
zu werden.
„Und
in diesem meinem Rucksack habe ich dreißig Goldstücke?!“
„Hattet.
Ihr hattet dreißig Goldstücke. Die gingen eben ins Eigentum des
Staates über.“
„Ihr
seid ja ganz miese Halsabschneider!“
„Wenn
Ihr wünscht, könnt Ihr auch das haben.“
„Neenee,
schon gut, immer locker in den Knien bleiben, okay? Das überdenke
ich mir lieber nochmal ausführlich.“
„Nun
gut, wie Ihr wünscht.“ Der andere Wächter schien irgendwie
unschlüssig. „Naja – äh – wir gehn dann wieder, okay?“
„Nur
zu, damit hab ich keine Probleme.“
„Wunderbar.
Also tschüß dann, ja?! Und möge Helm mit Euch sein.“
„Und
mit Euch die Cholera!“
Sie waren schon aus dem
Zimmer raus, da ging die Tür auf und der kleinere von den beiden,
also der unter zwei Meter und zehn, steckte seinen Kopf nochmal rein:
„Ach übrigens, nur zur Information: Euer Ruf ist um zwei Punkte
auf sechs gesunken. Ihr seid nun unbeliebt.“
Damit beruhigte er mich.
Wenigstens in dieser Hinsicht schien alles normal und wie immer.
Das sechste Zimmer
endlich war frei und hatte ein Fenster hinaus auf’s Dach. Ich
guckte raus. Das Dach war eher so eine Art schmaler Sims, über den
man nach rechts rüber auf den entsprechenden Sims des Nachbarhauses
gelangen konnte. Wo da eine Dachrinne sein sollte, konnte ich von
hier aus nicht erkennen. Es wurde langsam dunkel draußen, und meine
Augen hatten wohl die Jahre über auch etwas gelitten unter den
Alkoholexzessen und üblen Schlägereien in spärlich beleuchteten
Bars. Nur ein Verrückter konnte da rausklettern, auf dieses
Frühstücksbrettchen von einem Sims, um sich dann rüberzutasten und
nach brüchigen Dachrinnen zu grapschen. Nur ein Spinner, ein
Wahnsinniger, ein lebensmüder Volltrottel. Ich drückte die Läden
auf und schwang mein linkes Bein auf die Fensterbank. Dann zog ich
das rechte nach und und ließ das linke vorsichtig draußen nach dem
Dach tasten. Das Dach lag tiefer als der Boden drinnen, ich konnte es
nur grad so mit den Zehenspitzen spüren. Trotzdem versuchte ich mein
Gewicht darauf zu verlagern, mich aber gleichzeitig an den
Fensterläden festzuhalten. Mein Arsch rutschte über den rauhen
Stein der Fensterbank, die draußen etwas vorstand, ich blieb an
irgendeinem Nagel oder so hängen und riß mir fast den Sack ab. Der
Schmerz verlieh mir Schwung, und eine Sekunde später fand ich mich
draußen wieder, mit nur einer Hand an der Kante des Dachsimses
hängend. Ich schrie wie ein Mastferkel, daß sich für’ne
Cheerleaderin hält. Da unter mir gähnte die Dunkelheit. Ich kannte
diese Szene, es gab sie ja häufiger im Fernsehen. Nur daß in der
Glotze meist hübsche, schlanke Mädels irgendwo dran hingen und oben
muskelbepackte Schönlinge darauf warteten, sie zu packen und mit
einem beherzten Ruck in’s Happy End zu befördern. Diesmal war es
ein fetter, alter Knacker mit gut hundertzehn Kilo, die Hälfte davon
Bierbauch, der hier hing. Damit sah die Sache schon anders aus. Ich
versuchte, die zweite, linke Hand an die Dachkante zu kriegen. Aber
irgendwie schien mein rechter Arm länger zu sein. Um mir die Zeit zu
vertreiben, brüllte ich noch ein bißchen lauter herum. Jederzeit
sonst wären längst die Bullen wegen Ruhestörung da gewesen. Heute
hatten sie ihren freien Tag.
Vielleicht sollte ich
einfach loslassen. Hatte der spindeldürre Bubi von der BI-Software
nicht gesagt, man brauche bloß Selbstmord zu begehen, um hier raus
und wieder in die Realität zu kommen? Die Überlegung erschien mir
im ersten Moment verlockend. Doch dann dachte ich an die Realität,
die ja kaum einen Deut besser war als das hier, und daß der Typ
außerdem was von Datenverlust genuschelt hatte. Also lieber doch
nicht loslassen. Ich gab meiner Hand Bescheid, daß sie sich noch ein
Weilchen festkrallen solle. Sie lehnte ab und löste sich gegen
meinen ausdrücklichen Befehl. Ich rauschte runter. Mein ganzes Leben
zog an meinem inneren Auge vorbei. Allerdings nur bis kurz nach
meiner Geburt, dann krachte es auch schon und ich rasselte in einen
Haufen Gerümpel. Das Vordach war höchstens zweieinhalb Meter über
dem Boden gewesen. Ich verstauchte mir einen Fuß und zog mir ein
paar lange Schrammen an einer rostigen Harke zu. Es war dunkel, ich
konnte nicht erkennen, wo und wie ich genau zum Liegen gekommen war,
doch ein alter Instinkt gebot mir, erstmal kurz liegen zu bleiben und
die Situation gründlich zu analysieren. Als ich damit fertig war,
stand ich auf, knallte mit der Stirn gegen einen Pfosten, taumelte
zurück, riß dabei einen Bretterstapel um, griff im Bemühen, das
Gleichgewicht zu halten, hinter mich, erwischte eine Kette, die
einige hochkant gestellte Bänke zusammenhielt und wurde unter diesem
ganzen Zeug begraben. So langsam reichte es mir.
Plötzlich sah ich ein
Licht in der Dunkelheit, das sich von den übrigen Sternen und
farbigen Schleiern vor meinen Augen durch eine etwas handfestere
Präsenz unterschied. Ich justierte meinen Fokus darauf. Das Licht
kam aus einem Fenster schräg oben gegenüber. Ein Kopf erschien in
diesem Fenster, umgeben von einem feurigen Gloriolenschein
erleuchteten Haares.
„Hallo?!
Ist da jemand?“
„Hey,
Sally, bist du das?!“
„Wer
ist da? Wer seid Ihr? Tretet hervor aus dem Schatten, damit ich Euch
zu erkennen vermag!“
„Können
vor Lachen! Ich bin irgendwie eingeklemmt. Wie wär’s, wenn du mich
hier mal rauspulen würdest? Wollte dich gerade besuchen kommen!“
„Aah!
Der kleine Süße Fratz aus Winthrops Wirtschaft auf der Suche nach
seinem Kleingeld, wie?“
„Sally,
du hast es erfaßt. Wärest du jetzt vielleicht so freundlich...“
„Einen
Moment, bin sofort unten!“
Das Licht in dem Fenster
erlosch. Dann hörte ich etwas schrappen, jemand machte sich den Weg
zu mir frei. Dann wurden die über mir verkeilten Bänke weggezogen.
„Na,
wie geht’s?!“, vernahm ich ihre Stimme in der Finsternis, „Noch
alles dran am Mann?!“
„Naja,
bis auf einige lebensgefährliche Frakturen im Rückgrat, die
abgetrennten Hände, Füße und Ohren fühle ich mich ganz okay. Sag
mal, könntest du hier nicht mal für ein bißchen Licht sorgen? Hast
du vielleicht ne Laterne oder Fackel oder sowas in der Richtung?!
Nicht, daß du mir hier im Finstern noch auf irgendwelche
empfindlichen Stellen trittst!“
„Keine
Bange, Süßer, wir Meisterdiebe lieben die Dunkelheit! Ich bin voll
im meinem Element! A propos,“ meinte sie, „daß ich Diebin bin,
weißt du jetzt ja. Aber was ist mit dir? Was ist deine Klasse?“
Ich hustete, weil ich
Staub zwischen die Zähne gekriegt hatte.
„Meine
Klasse?! Naja, um die fünfundneunzig Kilo. Dürfte Schwergewicht
sein, oder Halbschwergewicht oder so.“
„Nein,
nicht deine Gewichtsklasse!“ Sie lachte. „Ich meine: was ist
deine Berufsklasse, was machst du so, wenn du nicht gerade in
irgendwelchen Schrotthaufen rumkrabbelst?“
„Mein
Beruf – hhm, naja... Mal hier ein Job, mal da. Mein Geld verdiene
ich auf der Rennbahn. Pferdewetten. Eigentlich will ich nur in Ruhe
das eine oder andere Gedicht in die Tasten hauen, wenn du verstehst,
was ich meine. Oder auch mal ne Short Story...“
„Ah
– dann bist du also so eine Art Barde, was?“
„Kann
schon sein“, grunzte ich.
Der Rest des Gerümpels
über mir verschwand, und ich tastete in der Gegend rum, kriegte aber
nichts interessantes zu fassen.
„Du
kannst jetzt aufstehen“, sagte sie. „Hast du’s dir inzwischen
anders überlegt?“
„Anders
überlegt? Wovon, zum Teufel, sprichst du?...“
„Wegen
deiner Party. Bin ich dabei?!“
„Ah
- ... yep, genau, die Party-Sache. Sag mal, könnten wir das nicht
woanders besprechen, vielleicht bei dir oben in der Bude?“
„Wollte
ich gerade vorschlagen. Hab auch noch was zu trinken da, du siehst
aus, als könntest du einen Schluck vertragen“
„Du
hast einen verdammt scharfen Blick hier in der Dunkelheit...“
„Das
ist nicht das einzig Scharfe an mir... Komm, laß uns hochgehen!“
Ich mochte sie. So sehr,
daß ich sogar die Strickleiter hoch zu ihrem Zimmer emporturnte. Und
das bei den Lichtverhältnissen! Sie hatte das Ding natürlich nicht
gebraucht, sie war ohne alle Hilfsmittel die Mauer hoch, so wie
Ninjas in diesen Hong-Kong-Streifen. Eine Weile brauchte ich schon,
bis ich oben war, die Strickleiter baumelte nach links, wenn ich mit
dem rechten Fuß eins höher wollte und nach rechts, wenn ich’s
andersrum versuchte, aber ich war immer schon ein zäher Kerl
gewesen. Aufgeben kommt in meinem Wortschatz nicht vor, jedenfalls
nicht, wenn man mir ein ordentliches Glas in Aussicht gestellt hat.
Und ich wurde nicht enttäuscht. Ihre Bude oben machte sofort einen
heimeligen Eindruck auf mich. Links neben dem Fenster, sozusagen am
Eingang, stand eine Reihe leerer Flaschen, rechts, an die Wand
gerückt, ein Eimer mit einem großen Deckel.
„Fischsuppe
von letzter Woche“, erklärte sie mir auf mein fragendes Gesicht
hin. „Den Deckel heb ich jetzt lieber nicht hoch. Winthrop bewahrt
immer die Essensreste für micht auf, seit sie nicht mehr an die
Schweine verfüttert werden dürfen. Du weißt schon – MKS und
so... Ich hab immer einen ordentlichen Bottich am Fenster. Wenn da
unten jemand rumsteht und mir dumm kommt, kriegt er eine Portion
übergegossen. Das ist wie eine Art Marker, verstehste? Den Gestank
kriegt man so schnell nicht aus den Haaren gewaschen, das hält sich
Tage lang und ich kann später die Verfolgung aufnehmen, wenn ich zum
Beispiel gerade einen Kater habe...“
„Klasse
Einfall, den merk ich mir.“ Die Frau war definitiv verrückt und
das gefiel mir sehr.
„Ein
Problem ist, daß meine Bude auch danach stinkt, falls der Deckel mal
nicht richtig drauf liegt. Und die Fliegen, wenn’s heiß ist. Aber
dafür hab ich den hier.“ Sie zeigte auf einen kleinen Holztisch.
„Ein
Tisch gegen Fliegen?“
„Nein!
Mann, guck doch mal genau hin! Mach deine verschwiemelten Augen auf!
Naaa?!“
„Es
ist hier ziemlich dämmerig. Ich meine – ah ja, klar doch! Und wie
heißt das Tierchen?“
„Ich
nenne ihn Larence von Arabien. Wegen seiner Augen. Die sind so
ausdrucksstark.“
Was an den Augen dieses Chamäleons
ausdrucksstark sein sollte, leuchtete mir nicht ein, aber
andererseits paßte der Name genauso gut wie jeder andere auch,
vielleicht sogar besser als Fifi, Nero oder Bello.
„Willst du ihn mal streicheln?“
„Nee, laß mal, nachher spuckt der mir
noch Essensreste ins Auge!“
Sie lachte. Es lief genau in die
richtige Richtung. Inzwischen hatten sich meine Augen an die
Düsternis so halbwegs gewöhnt. Ihre Kurven waren phänomenal. Ich
ließ mich auf eine Matratze in irgendeiner der Zimmerecken fallen.
Dabei fiel mir auf, daß es mehr als vier Zimmerecken gab. Der Raum
war fünfeckig.
„Hey, dein Zimmer ist fünfeckig!“
„Naja, ich bin Diebin und als solche
braucht man einen fünften Sinn.“
„Ich denke, das heißt: sechster
Sinn?!“
„Is ja auch egal. Willst du was zu
trinken?“
„Yep!“
Sie hatte mehrere Flaschen Wein da und
das ließ hoffen für die Nacht.
„Hör mal,“ sagte sie, „das mit
dem Geld, das ich dir abgenommen habe... Du kriegst es natürlich
wieder, Ehrensache! Ich wollte nur sichergehen, daß du mich mit in
deine Gruppe aufnimmst.“
„Warum wolltest du unbedingt
sichergehen?“
„Naja, mir gefällt dein Gesicht,
irgendwie. Und deine Art zu gehen...“
„Right. Und mir gefallen deine Beine.“
„Wirklich?!
„Yeah, ich kenn mich da aus, für
Beine habe ich’n Blick. Deine sind echte Ausnahmeexemplare, genau
die richtigen Linien und Proportionen und so. Ziemlich sexy.“
„Meinst du das ehrlich?“
„Beim Augenlicht meiner Mutter!“
„Willst du sie mal anfassen?“
„Hhm. Schenk mir vorher noch ein Glas
ein, sowas muß man mit Bedacht angehen.“
Sie langte mir die Flasche rüber. Ich
mochte sie. Der blonde Nigger und Babydoll Moni sollten ruhig noch’ne
Weile warten.
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