Verdächtige Bombelbeeren und eine Wette
Der Kneipenbesitzer war ein Schwager
von Jaheira und deshalb konnten wir alle frei essen und trinken. Ich
fand’s sehr gemütlich hier.
Als ich zurück zum Tisch kam, fiel mir
gleich die deutlich negativere Stimmung auf.
„Hank, findest du nicht, du solltest
dich mit dem Saufen etwas zurückhalten?!“, fragte Sally.
„Yeah, Baby, werd’ mal einen Gang
runterschalten.“, sagte ich und nahm nur einen ganz kleinen
Schluck.
Die anderen in der Runde schwiegen. Mir
war das eigentlich nicht unangenehm. Im Schweigen war ich ein echter
Champ, da konnte mir keiner so schnell das Wasser reichen. Also
schwieg ich, trank in kleinen Schlucken und probierte die
Brechungswirkung des Bierglases aus. Wenn ich es links vor mich
hinstellte, konnte ich darin seitenverkehrt Jaheiras Titten sehen,
ohne in ihre Richtung starren zu müssen. Allerdings war die
Spiegelung ziemlich klein, gelblich gefärbt und außerdem war da ja
das Kettenhemd über den Dingern drüber. Na, man kann nicht alles
haben.
An den Nachbartischen wurde gegröhlt
und gesungen. Man konnte die Gespräche mithören. Zum Beispiel an
dem Tisch rechts von uns.
„...Und wenn ich dann von der Arbeit
nach Hause komme, dann ficke ich meine Frau, weißt du?“
„Ja Mann, gib’s ihr!“
„Echt, ich red keinen Scheiß: Wenn
ich da so nach Hause komme, da pfeffer ich meine Stiefel in die Ecke
und greif mir meine Frau, und dann besorg ich’s ihr!“
„Ja, voll cool...“
„Nee, wirklich! Ich mein – ich sag
das nicht nur so, ich mach das auch! Ich geh nach Hause und fick
meine Frau.“
„Ja, geil, ey!“
„Ich frag nicht erst: was gibt’s zu
Essen oder so’n Müll, ich frag auch nicht, was sie den Tag über
gemacht hat oder wo die Kinder sind oder wie sie sich fühlt oder ob
das Haushaltsgeld reicht oder weiß der Geier was. Ich nehm sie mir
vor und zieh ihr die Klamotten aus und dann fick ich sie, jawoll!“
„Höhöhö! Jau, immer rauf auf die
Alte!“
„Weißt du, wenn ich nach Hause komme
von der Arbeit, dann fick ich meine Alte, aber so richtig!“
„Yep...“
„Und auch wenn sie nicht will – da
frag ich gar nicht lange. Ich komm nach Hause und dann...“
„... fickst du erstmal deine Frau...“
„Ja, genau, weißt du, das mach ich
immer so, ich komm nach Hause und...“
Am Tisch links wurde über Sport
geredet.
„Wenn der Blödmann nicht die linke
Ecke zugemacht hätte, dann hätte ihn Weißbrotsen auch nicht so
locker versetzen können. Die hätten doch den Rückstand nie mehr
aufgeholt!“
„Ach was, Weißbrotsen hat es einfach
drauf, so ist das! Daß ihr vorne lagt, das war doch pures Glück!
Pures Glück war das!“
„Wieso Glück, hä? Unsere Jungs
haben doch die ersten beiden Dinger ganz systematisch vorbereitet!
Das hat was mit Strategie zu tun, verstehste?“
„Hahaha, Strategie, daß ich nicht
lache! Was soll das denn für’ne Strategie sein, wenn man zuerst in
Führung liegt und sich nachher so ablatzen läßt?“
„Da war der Schiri dran schuld, ist
doch klar!“
„Ach, nu is der Schiri schuld, oder
was?“
„Ja logo! Ich mein – der Freistoß
in der siebzigsten, der war doch wohl eindeutig nicht korrekt,
oder?“
„Ja wie – nicht korrekt?! Der hat
doch voll sein Bein stehen lassen, das war volle Absicht! Sowas muß
man pfeifen!“
„Quatsch, sowas muß man überhaupt
nicht pfeifen. Das war’ne Schwalbe war das! Sieht doch'n Blinder
mit Krückstock. So eine Memme! Nur weil der sich hingeschmissen und
eins auf Heulsuse gemacht hat!“
„Ja und? Außerdem – ist ja auch
egal, oder? Der Freistoß hat doch eh keine Folgen gehabt, ich weiß
gar nicht, was du willst!“
„Ich mein ja nur. Das war ja nur’n
Beispiel, daß der Schiri eben parteilich war.“
„Das heißt parteiisch!“
„Mein ich doch! Ich doch auch egal,
ob parteilich oder pardingsbums. Es geht um den Sachverhalt!“
„Sachverhalt ist, daß ihr voll
abgeloost habt!“
„Aber wenn unser Keeper nicht
dummerweise die linke Ecke zugemacht hätte...“
Ich saß da, hörte zu und trank in
kleinen Schlucken. Bei uns am Tisch war dicke Luft. Ich guckte mal
kurz von meinem Glas auf. Moni fummelte an ihrem Bart rum. Bayan
hatte die Arme verschränkt, sich nach hinten gelehnt und fixierte
einen Punkt jenseits des Horizontes.
Jaheira rührte in einem Becher, der
inzwischen längst kalten Kräutertee mit Rum enthielt. Sie rührte
ziemlich entschlossen. Das Geräusch des Löffels in diesem
Steingutbecher machte einen ganz kirre. Khalid saß neben ihr und
glotzte sie an, wie Cockerspaniel ihre Frauchen anzuglotzen pflegen.
Fehlte nur noch, daß er die Zunge raushängen ließ. Ich guckte nach
links, wo Sally saß. Meine Sally, mein Zuckerbaby, die Meisterdiebin
mit den phänomenalen Innenkurven. Sie hatte die Arme ebenfalls
verschränkt und trippelte mit den Fingern der rechten Hand auf ihrem
linken Oberarm. Sie guckte an die gegenüberliegende Wand, als wolle
sie die mit ihrem Blick umwerfen.
Irgendetwas schien ich verpaßt zu
haben. Es war mir egal. Hier hatte ich meinen Hintern im Warmen, ein
kühles Bier vor mir und war ganz relaxed. Von mir aus konnten wir
den ganzen Abend weiter schweigen.
Khalid war da etwas anders drauf.
„J-j-j-ja so is das in d-d-der Welt!“
„Was willst du damit andeuten,
Humpelzunge?!“ Bayan hatte den Fixpunkt seines Blickes aus dem
Jenseits blitzartig auf Khalid umgeschaltet.
„Jetzt laß Khaldi in Ruhe! Er will
überhaupt nichts andeuten!“, sagte Jaheira, „Keiner hier von uns
will irgendwas andeuten! Aber es ist doch komisch, wie du immer
gleich alles auf dich beziehst...“
„Wie – auf mich beziehen? Ja, was
denn auf mich beziehen? Ich bin Bayan da‘i Baiornne, aus dem
vergessenen achten Hause von...“
„Jajajaja! Ihr Drow seid doch alle
gleich! Harhar, aus dem vergessenen achten Hause von! Genau das ist
die Einstellung, die dazu geführt hat, sag ich euch, genau diese
Einstellung, diese intolerante Arroganz, dieses Gefühl, was Besseres
zu sein, die hat zu der ganzen Sache geführt!“, mischte sich
Babydoll Moni ein. Sie war scheinbar fertig mit ihrer Bartinspektion.
„Ich habe mit diesen Leuten nichts zu
tun. Das ist eine rassistische Unterstellung!“
„Ach nee?! Aber du verteidigst sie
doch die ganze Zeit! Du hast gesagt, man muß sie verstehen, da gibt
es politische Gründe, da gibt es eine Vorgeschichte, die Regierung
von Baldurs Tor soll sich mal an die eigene Nase fassen! Das hast du
doch gesagt!“
„Ja und, das stimmt doch auch! Die
Baldurianer sind rücksichtslos in ihrer Politik! Sie haben sich mit
den Elfen verbündet und gehen rücksichtslos gegen die Gnolle und
Orks in den besetzten Gebieten vor!“
„Ha, wußte ich’s doch, daß du ein
verkappter Antielfist bist!“, rief Jaheira. „Ihr Drow habt da
eine fixe Idee. Immer, wenn etwas nicht nach euren Vorstellungen
läuft, sind die Elfen schuld!“
„Hab ich das behauptet? Das ist eine
Unterstellung! Wir Drow sind normalerweise ein friedliebendes Volk,
nur werden wir immer wieder von den Menschen und den Elfen
provoziert!“
„Ein friedliebendes Volk! Ein
friedliebendes Volk!“, kreischte Moni. „DASS ICH NICHT LACHE!!!
Ihr seid so friedliebend, wie eure Göttin Lhoth, dieses Spinnenvieh,
das mit Menschen- und Elfenopfern befriedigt werden muß.“
„Nicht alle Drow beten zu Lhoth!
Viele von uns beten wie ich zu Shar, der Göttin der Nacht.“
„Das sind doch alles Ausreden.
Ausreden, sag ich! Wenn es nach uns Zwergen ginge, hätte man längst
alle Drow aus Faerun verjagt. Aber uns Zwerge fragt ja niemand.“
„Weil ihr normalerweise auch keine so
vernünftigen Vorschläge macht.“, meinte Jaheira.
„Was soll das denn nun schon wieder
heißen? Fällst du mir jetzt in den Rücken, oder was? Typisch
Elfin, kann ich nur sagen! Heimlich sympathisiert ihr immer noch mit
den Drow, ihr seid ja sogar rassisch mit denen verwandt!“
„Das ist eine infame Verleumdung! Wie
kommst du dazu, hier mit deinen rassistischen Äußerungen die
Athmosphäre zu vergiften?! Ihr Zwerge seid doch vom Wesen her viel
verwandter mit den Drow, immerhin lebt ihr normalerweise auch wie die
Maden unter den Bergen.“
„Wie die Maden? WIE DIE MADEN? Dieser
Dame hier sollte man vielleicht mal ihr Kettenhemd ein wenig stramm
ziehen! Niemand beleidigt ungestraft das ruhmreiche Geschlecht der
Zwerge!“
„Ruhmreiches Geschlecht - das ist mal
ein guter Witz!“, zischte Bayan. „Gleich zwei Begriffe, die mit
Zwergen nun nicht das geringste zu tun haben.“
„WENN DU DAS NOCHEINMAL SAGST, RAMME
ICH DIR MEINEN KRIEGSHAMMER ZWISCHEN DEINE SCHLITZSPITZOHREN!!!“
„Leute, Leute!“, versuchte Sally,
meine zuckersüße Sallyschnecke, die Situation zu entspannen,
„Beruhigt euch doch wieder! Ich bin mir sicher, daß niemand hier
am Tisch irgendwelche Sympathien mit den Attentätern empfindet. Am
allerwenigsten wohl Bayan. Immerhin ist er ein Mann und die Männer
werden bei den Drow unterdrückt, wie wir alle wissen. Die
Drowmännchen müssen hinter ihren Frauen hinterherlaufen, dürfen
tagsüber nicht allein aus dem Haus und nachts schon erst gar nicht,
in Gegenwart einer Drow-Frau dürfen Drowmänner nicht reden... Da
sind wir in unserer Gesellschaft bei den Menschen schon viel weiter,
wir würden niemals unsere Männer wie Haustiere behandeln...“
„Will’s hoffen, Baby, will’s
hoffen!“, warf ich ein.
„Ach Hank, wenn du nix Konstruktives
beizutragen hast, mach den Kopp zu!“
„Aah – yeah...“
Ich trank in kleinen Schlucken.
„So generell kann man das nicht
sagen, wir haben nur bestimmte kulturelle Traditionen...“, wollte
Bayan korrigieren, doch Sally ließ ihn nicht ausreden.
„Bayan ist aus seiner Stadt geflohen,
sein Haus wurde von den Radikalen unter den Drow vernichtet. Er ist
ein politischer Flüchtling und es wäre nun unfair, ihm solche
Verbrechen zur Last zu legen, die ultraorthodoxe Drow im Namen ihrer
Spinnengöttig begehen.“
„Es ist immer noch nicht
hundertprozentig bewiesen, daß es Drow waren! Woher soll man das
denn bitteschön wissen, wenn doch alle Passagiere des Drachen
anhiliert wurden bei dem tragischen Unfall?“
„Tragischer Unfall! TRAGISCHER
UNFALL! Das ist typisch, so kann nur ein Drow reden!“, grummelte
Moni.
„Jetzt halte dich bitte mal einen
Moment zurück, Moni, okay?“, meinte Jaheira, „Und was den
tragischen Unfall angeht, Bayan, so solltest du hier nicht auf
zynische Weise verharmlosen. Das war ein gezielter Anschlag. Und es
kann sich nur um Drow gehandelt haben, denn es standen lediglich zwei
Elben und ein Menschenmädchen auf der Passagierliste. Du glaubst
doch wohl selbst nicht, daß ein Mädchen und zwei Elben einen
Drachen in ihre Gewalt bringen können, der ansonsten bis auf den
letzten Sitzplatz mit Drow belegt ist? Man hat in den Trümmern
Bombelbeeren, weiße Bohnen und Teppichmesser gefunden. Damit ist der
Tatvorhergang doch wohl ziemlich lückenlos bewiesen, will ich mal
annehmen.“
„D-d-das hast du schön
ge-ge-ge-gesagt!“, trug Khalid seinen Teil zur Unterhaltung bei.
„Ja, Khalid, ist schon recht!“,
meinte Jaheira und tätschelte sein Bein, ohne ihn anzusehen.
Mir wurde das Gespräch zu öde.
Politik war nicht meine Sache.
„Kinders, ich bin müde und geh schon
mal vor in die Heia.“, log ich und stand auf, „Kommst Du bald
nach, Sally?!“
„Später vielleicht. Im Moment sind
wir gerade so schön im Gespräch...“
„Na, dann laßt euch mal nicht weiter
stören.“
Ich ging hoch zu den Schlafräumen, die
uns Jaheiras Schwager zugeteilt hatte. Ich hatte ein Zimmer mit Sally
zusammen. Ziemlich klein, aber sauber und warm und mit einem riesigen
Doppelbett. Ich hängte das Schild „Bitte nicht stören!“ draußen
an den Türknauf und schloß sicherheitshalber von innen ab. Nachdem
ich die Schuhe abgestreift hatte, zog ich mir die Hose aus, legte
mich auf das Riesenbett, spuckte in die Hand und fing an zu wichsen.
Dabei dachte ich an Jaheira, an ihre spektakulären Beine, an ihr
ultrakurzes Kettenhemd, an ihren Apfelbusen, der mitunter im
Kettenhemd auf verbotene Weise hin und her wogte. Ich stellte mir
vor, wie ich ihr dieses Kettenhemd runterriß, wie ich in jede Hand
eine dieser Titten nahm und daran herumknetete. Ich malte mir
bildlich aus, wie sie sich so ein bißchen sträubte und wehrte und
wie ich ihr diese endlosen Beine auseinanderquetschte und mein Ding
dazwischen reinsteckte und pumpte, pumpte, pumpte. Ob sie dabei wohl
rumquietschte wie ein kleines Ferkel, oder ob sie auf die coole Tour
rumstöhnte, so ganz tief aus dem Bauch heraus? Ich rubbelte und
rubbelte und kriegte bald nen Krampf im Handgelenk. Aber ich konnte
einfach nicht kommen. Es ging nicht. Irgendwas fehlte. Hatte ich ein
schlechtes Gewissen?
Ich dachte an Sally. An meine
Zuckerschnecke. An ihren Pfirsichduft, an die Art, wie sich ihre
roten Locken auf meiner nackten Schulter anfühlten, an die Art, wie
sie leicht zwischen den Zähnen flötete, wenn sie kurz davor stand,
wie sie mit der Hüfte hin und her drehte, wenn sie mich ritt.
Prompt spritzte ich ab. So war ich nun
mal: monogam selbst noch beim Masturbieren. Ich stand auf, ging rüber
ins Bad und wusch das weiße Zeug runter, das mir bis auf die Brust
gekleckert war. Dann trocknete ich mich ab und schaute in den
Spiegel. Hank, du alter, dreckiger, romantischer Mistkerl, dachte
ich.
Ich ging wieder rüber ins Schlafzimmer
und legte mich auf’s Bett, die Hände hinter dem Kopf verschränkt.
Ich starrte an die Decke und wartete auf Sally. Sally, die ich
irgendwie liebte. Man hörte Gerede und Gelächter aus dem Schankraum
heraufklingen. Das erinnerte mich daran, daß ich heute nur zwei oder
drei kleine Bier getrunken hatte. An der Decke krabbelte eine nervöse
Fliege hin und her. Dann ließ sie sich fallen, drehte ein paar
Runden, landete auf dem Fenstervorhang und krabbelte nervös hoch und
runter. Sie kratzte sich wie ein Hund mit dem Bein hinterm Ohr. Dann
guckte sie eine Weile verdutzt und startete wieder, um noch ein paar
Runden zu drehen. Was für eine Zeitverschwendung! Fliegen sollten
sich lieber etwas beeilen, wenn sie’s im Leben zu was bringen
wollten. Schließlich war es kürzer als das der meisten Leute. Diese
Flieg würde keine großartige Karriere machen, soviel stand mal
fest. Na und? Ich würde auch keine großartige Karriere mehr machen.
Ich würde so herumliegen, mich regelmäßig besaufen, mir mit dem
Fuß hinter den Ohren kratzen, das eine oder andere Gedicht schreiben
und das war’s dann. Wir hatten viel gemeinsam, die Fliege und ich.
Jetzt flog sie eine elegante
Achterschleife und landete dann auf meinem Bauch. Sie krabbelte
runter zu meinen Sackhaaren, die noch nicht ganz trocken waren und
fing an, dort mit ihrem Rüssel irgendwas zu saugen. Ich schlug sie
tot.
Danach stand ich auf, zog mich an,
schloß die Tür auf, nahm das Schild vom Knauf und ging schließlich
nach unten. Ich setzte mich am Thresen auf einen Barhocker.
„Na, Hank?“, fragte der Schwager
von Jaheira und schob mir ein Bier rüber, „Ich dachte, du wolltest
schon knacken gehen?“
„Hhmm. Hab’s mir anders überlegt.
Die Arschgesichter hier unten machen so einen Höllenlärm, da kriegt
man kein Auge zu.“
Einige der Arschgesichter entlang der
Theke schauten mich aus den Augenwinkeln an.
„Hör mal, ich will hier keinen
Ärger, okay?“, warnte mich Jaheiras Schwager.
„Allright, ich auch nicht.“,
murmelte ich. Die Arschgesichter wendeten sich wieder ihren öden
Gesprächen zu. Ich konzentrierte mich auf’s Trinken. Manchmal
guckte ich rüber zu dem Tisch, wo Sally mit den anderen saß. Sie
redeten und redeten. Irgendwann würde das riesige Faß, in dem alle
Wörter dieser Welt hin und her schwappen, leergeredet sein. Die
Leute würden an seinem Boden entlangkriechen und verzweifelt nach
ein paar übriggebliebenen Wörtern schürfen, sie würden die
letzten Silben mit abgestumpften Messern von den Planken kratzen und
rufen:“Hey, hier ist noch eine!“ Und dann weiterkriechen und
kratzen und schließlich ganz verstummen. Und die Welt würde still
sein, dunkel und kalt, und das wäre dann das Ende, die vollkommene
Entropie, das hallende Schweigen.
Sally saß da, ich sah sie von hinten,
manchmal fuhr sie sich mit der Hand durch die Haare oder zupfte ihren
Pullover hinten runter über ihren phänomenalen Arsch. Wie ich sie
liebte! Mir wurde ganz warm um’s Herz dabei. Jaheiras Schwager
schob mir das siebte oder achte Bier rüber.
Jetzt ging die Eingangstür zur Schenke
auf und drei komische Typen kamen rein. Ein ellenlanger Typ mit
Wuschelhaaren Marke Biafra-Kind. Ein dickbäuchiger Knirps mit einem
Hörnerhelm auf dem Kopf und einen riesigen Hammer hinter sich
herschleifend. Ein Milchbubi mit Schmalztolle und einem Kasten unter
dem Arm. Sie kamen rüber zur Theke und setzten sich links neben
mich.
„Einen Tequila!“, sagte der
Milchbubi zu Jaheiras Schwager.
„Ein Rattenbrötchen mit Ketchup für
mich.“, bestellte der Knirps mit dem Bauch.
„Nichts!“ sagte der dürre Kerl.
Als ich ihn erstaunt anschaute, erklärte er: „Ich bin auf Diät.
Habe zuviel Speck angesetzt in letzter Zeit!“ Er griff sich zur
Verdeutlichung an den Hals. „Siehste?! Hier – alles schwabbeliges
Fett!“ Trockene, pergamentartige Haut knisterte zwischen seinen
spitzen Fingerspitzen.
„Oder wartet einmal!“, unterbrach
er sich selbst, zu Jaheiras Schwager gewandt, „Habt Ihr vielleicht
Zigaretten? Roth Händle? Ja? Okay, davon hätt ich gern ein Päckchen
bitte! Rauchen macht ja nicht dick, oder?!“
Seine beiden Kumpel glotzten ihn an wie
eine Erscheinung.
„Hey, Skull, alter Junge, was ist mir
dir los? Woher dieser plötzliche Anfall von Geschwätzigkeit? Soviel
hast du in den letzten drei Wochen nicht mehr an einem Stück
geredet! Fühlst du dich wohl?“, wollte der Milchbub wissen.
„Ja, Mann, bist du dir sicher, daß
alles in Ordnung ist mit dir?“, erkundigte sich der dicke Knirps.
Der, den sie Skull nannten, drehte sich
zu ihnen um und zog die rechte Augenbraue hoch. Es gab ein trockenes
Geräusch, als die Haut am Schädelknochen entlangschabte.
„Mhm?!“, machte er.
„Na, dann bin ich ja beruhigt, war
wohl nur ein vorübergehender Anfall.“, sagte der mit der
Schmalztolle. Er knallte den Kasten, den er unter dem Arm getragen
hatte, drängelnd auf den Thresen. „So – und was ist jetzt? Krieg
ich endlich meinen Tequila oder was?!“
Jaheiras Schwager deutete mit dem
Daumen auf ein verklebtes und verkleistertes Schild hinter seinem
Rücken.
„Kein Alkoholausschank an
Jugendliche!“, brummelte er zwischen den Zähnen hindurch.
„WIE BITTE?! Was soll das heißen,
kein Alkoholausschank an Jugendliche?! Wo steht das? Auf dem Schild
da? Auf dem Schild klebt der Auswurf tausender besoffener Barflys.
Diese Vorschrift ist schon aufgehoben worden, als ich noch
Bambi-Filme guckte und mir dabei die Tränen kamen! Das ist doch
Blödsinn! Wir sind hier doch nicht in Salt Lake City bei den
Mormonen! Ich will gar keinen Alkohol, ich will nur meinen Tequila
haben, ohne Tequila werde ich ganz rammdösig, hey Mann, stell dich
nicht so an, ich bin schon volljährig, ich weiß wirklich nicht...“
„Komm, schenk dem Jungen einen ein!“,
sagte ich zu Jaheiras Schwager, „Wenn’s Ärger mit der Sitte
gibt, nehm ich das auf meine Kappe.“
„Na gut, Hank, aber wehe, es gibt
Stunk!“
„Keine Angst, das geht in Ordnung.“
„Hey Mann, danke, du bist korrekt,
ey!“, meinte der Milchbubi und hielt mir seine Hand hin. „Du bist
Hank, nicht wahr? Mich nennen sie Pali.“
Ich schüttelte ihm die Hand. „Freut
mich, dich kennenzulernen, Pali.“
„Ja, Mann, freut mich auch, freut
mich voll korrekt, Mann!“
„Hhmmm...“
Der Knirps mit den Hörnern auf dem
Deckel stieß Pali zur Seite und hielt mir seine schwielenbedeckte
Hand hin: „Ich bin Doc. Doc Sternau. Aber Ihr könnt mich auch
einfach Doc nennen...“
„...wie alle Eure Freunde, was?“,
ergänzte ich.
„Nein, ich habe keine Freunde,
höchstens Verbündete.“, meinte der Zwerg. „Wahre Freundschaft
verbindet mich nur mit dem Gold. Ich bin Goldschmied, müßt Ihr
wissen!“
„Aaah – ja...“
Der lange dürre Kerl hielt mir seine
Hand hin: „Skull!“
Die Hand fühlte sich an wie eine
abgenagte Hühnerkralle. Ich drückte sie vorsichtig, um nichts zu
zerbrechen.
„Angenehm – Hank ist mein Name.“
„- - -„
„Wiebitte?
„- - -„
„Na, wenn du meinst...“
„Hey Mann, du errätst nie, was ich
hier in diesem Kasten drin habe!“, meinte Pali und deutete auf sein
Mitbringsel. „Das ist ein voll krasses Gerät, sag ich dir, du
errätst nie, was es ist. Wetten?“
„Um was wetten wir?“, fragte ich.
Wetten waren eine meiner Leidenschaften.
„Hhm – keine Ahnung, schlag was
vor!“
„Allright. Hast Du eine Schwester?“
„Ja klar, Mann, ich hab haufenweise
Schwestern. Ich hab dermaßen viele Schwestern, daß ich schon gar
nicht mehr weiß, wie ich mich an den Riesenhaufen von
Mädchenschlüpfern, die bei uns zuhause den Flur bevölkern, noch
vorbeiquetschen soll.“
„Gut. Also: Wenn ich die Wette
gewinne, dann stellst du mich deinen Schwestern vor. Und wenn du die
Wette gewinnst, dann stelle ich dich dieser Traumbraut da drüben
vor.“ Ich deutete auf Jaheira.
„Das würdest du machen, Mann? Mich
dieser Sahneschnitte vorstellen? Kennst du die überhaupt?“
„Worauf du einen lassen kannst!“
„Hhmm... Na gut. Ja, Mann, das ist
fair, denke ich. Wenn du rauskriegst, was ich hier in diesem Kasten
habe, dann stell ich dich meinen sämtlichen Schwestern vor. Top, die
Wette gilt!“
„Ich hab drei Versuche, ja?“
„Klar doch! Nur zu!“
Die Schmalztolle grinste über
sämtliche Backen.
Er gefiel mir. Alle drei gefielen mir.
Sie waren verrückt, alle miteinander. Der eine ernährte sich von
Stickoxiden, der zweite fraß Ratten und der dritte verhökerte seine
Schwestern. Unter solchen Wahnsinnigen fühlte ich mich zuhause.