Montag, April 07, 2014

Verdächtige Bombelbeeren und eine Wette







Der Kneipenbesitzer war ein Schwager von Jaheira und deshalb konnten wir alle frei essen und trinken. Ich fand’s sehr gemütlich hier.
Als ich zurück zum Tisch kam, fiel mir gleich die deutlich negativere Stimmung auf.
„Hank, findest du nicht, du solltest dich mit dem Saufen etwas zurückhalten?!“, fragte Sally.
„Yeah, Baby, werd’ mal einen Gang runterschalten.“, sagte ich und nahm nur einen ganz kleinen Schluck.
Die anderen in der Runde schwiegen. Mir war das eigentlich nicht unangenehm. Im Schweigen war ich ein echter Champ, da konnte mir keiner so schnell das Wasser reichen. Also schwieg ich, trank in kleinen Schlucken und probierte die Brechungswirkung des Bierglases aus. Wenn ich es links vor mich hinstellte, konnte ich darin seitenverkehrt Jaheiras Titten sehen, ohne in ihre Richtung starren zu müssen. Allerdings war die Spiegelung ziemlich klein, gelblich gefärbt und außerdem war da ja das Kettenhemd über den Dingern drüber. Na, man kann nicht alles haben.
An den Nachbartischen wurde gegröhlt und gesungen. Man konnte die Gespräche mithören. Zum Beispiel an dem Tisch rechts von uns.
„...Und wenn ich dann von der Arbeit nach Hause komme, dann ficke ich meine Frau, weißt du?“
„Ja Mann, gib’s ihr!“
„Echt, ich red keinen Scheiß: Wenn ich da so nach Hause komme, da pfeffer ich meine Stiefel in die Ecke und greif mir meine Frau, und dann besorg ich’s ihr!“
„Ja, voll cool...“
„Nee, wirklich! Ich mein – ich sag das nicht nur so, ich mach das auch! Ich geh nach Hause und fick meine Frau.“
„Ja, geil, ey!“
„Ich frag nicht erst: was gibt’s zu Essen oder so’n Müll, ich frag auch nicht, was sie den Tag über gemacht hat oder wo die Kinder sind oder wie sie sich fühlt oder ob das Haushaltsgeld reicht oder weiß der Geier was. Ich nehm sie mir vor und zieh ihr die Klamotten aus und dann fick ich sie, jawoll!“
„Höhöhö! Jau, immer rauf auf die Alte!“
„Weißt du, wenn ich nach Hause komme von der Arbeit, dann fick ich meine Alte, aber so richtig!“
„Yep...“
„Und auch wenn sie nicht will – da frag ich gar nicht lange. Ich komm nach Hause und dann...“
„... fickst du erstmal deine Frau...“
„Ja, genau, weißt du, das mach ich immer so, ich komm nach Hause und...“

Am Tisch links wurde über Sport geredet.
„Wenn der Blödmann nicht die linke Ecke zugemacht hätte, dann hätte ihn Weißbrotsen auch nicht so locker versetzen können. Die hätten doch den Rückstand nie mehr aufgeholt!“
„Ach was, Weißbrotsen hat es einfach drauf, so ist das! Daß ihr vorne lagt, das war doch pures Glück! Pures Glück war das!“
„Wieso Glück, hä? Unsere Jungs haben doch die ersten beiden Dinger ganz systematisch vorbereitet! Das hat was mit Strategie zu tun, verstehste?“
„Hahaha, Strategie, daß ich nicht lache! Was soll das denn für’ne Strategie sein, wenn man zuerst in Führung liegt und sich nachher so ablatzen läßt?“
„Da war der Schiri dran schuld, ist doch klar!“
„Ach, nu is der Schiri schuld, oder was?“
„Ja logo! Ich mein – der Freistoß in der siebzigsten, der war doch wohl eindeutig nicht korrekt, oder?“
„Ja wie – nicht korrekt?! Der hat doch voll sein Bein stehen lassen, das war volle Absicht! Sowas muß man pfeifen!“
„Quatsch, sowas muß man überhaupt nicht pfeifen. Das war’ne Schwalbe war das! Sieht doch'n Blinder mit Krückstock. So eine Memme! Nur weil der sich hingeschmissen und eins auf Heulsuse gemacht hat!“
„Ja und? Außerdem – ist ja auch egal, oder? Der Freistoß hat doch eh keine Folgen gehabt, ich weiß gar nicht, was du willst!“
„Ich mein ja nur. Das war ja nur’n Beispiel, daß der Schiri eben parteilich war.“
„Das heißt parteiisch!“
„Mein ich doch! Ich doch auch egal, ob parteilich oder pardingsbums. Es geht um den Sachverhalt!“
„Sachverhalt ist, daß ihr voll abgeloost habt!“
„Aber wenn unser Keeper nicht dummerweise die linke Ecke zugemacht hätte...“

Ich saß da, hörte zu und trank in kleinen Schlucken. Bei uns am Tisch war dicke Luft. Ich guckte mal kurz von meinem Glas auf. Moni fummelte an ihrem Bart rum. Bayan hatte die Arme verschränkt, sich nach hinten gelehnt und fixierte einen Punkt jenseits des Horizontes.
Jaheira rührte in einem Becher, der inzwischen längst kalten Kräutertee mit Rum enthielt. Sie rührte ziemlich entschlossen. Das Geräusch des Löffels in diesem Steingutbecher machte einen ganz kirre. Khalid saß neben ihr und glotzte sie an, wie Cockerspaniel ihre Frauchen anzuglotzen pflegen. Fehlte nur noch, daß er die Zunge raushängen ließ. Ich guckte nach links, wo Sally saß. Meine Sally, mein Zuckerbaby, die Meisterdiebin mit den phänomenalen Innenkurven. Sie hatte die Arme ebenfalls verschränkt und trippelte mit den Fingern der rechten Hand auf ihrem linken Oberarm. Sie guckte an die gegenüberliegende Wand, als wolle sie die mit ihrem Blick umwerfen.
Irgendetwas schien ich verpaßt zu haben. Es war mir egal. Hier hatte ich meinen Hintern im Warmen, ein kühles Bier vor mir und war ganz relaxed. Von mir aus konnten wir den ganzen Abend weiter schweigen.
Khalid war da etwas anders drauf.
„J-j-j-ja so is das in d-d-der Welt!“
„Was willst du damit andeuten, Humpelzunge?!“ Bayan hatte den Fixpunkt seines Blickes aus dem Jenseits blitzartig auf Khalid umgeschaltet.
„Jetzt laß Khaldi in Ruhe! Er will überhaupt nichts andeuten!“, sagte Jaheira, „Keiner hier von uns will irgendwas andeuten! Aber es ist doch komisch, wie du immer gleich alles auf dich beziehst...“
„Wie – auf mich beziehen? Ja, was denn auf mich beziehen? Ich bin Bayan da‘i Baiornne, aus dem vergessenen achten Hause von...“
„Jajajaja! Ihr Drow seid doch alle gleich! Harhar, aus dem vergessenen achten Hause von! Genau das ist die Einstellung, die dazu geführt hat, sag ich euch, genau diese Einstellung, diese intolerante Arroganz, dieses Gefühl, was Besseres zu sein, die hat zu der ganzen Sache geführt!“, mischte sich Babydoll Moni ein. Sie war scheinbar fertig mit ihrer Bartinspektion.
„Ich habe mit diesen Leuten nichts zu tun. Das ist eine rassistische Unterstellung!“
„Ach nee?! Aber du verteidigst sie doch die ganze Zeit! Du hast gesagt, man muß sie verstehen, da gibt es politische Gründe, da gibt es eine Vorgeschichte, die Regierung von Baldurs Tor soll sich mal an die eigene Nase fassen! Das hast du doch gesagt!“
„Ja und, das stimmt doch auch! Die Baldurianer sind rücksichtslos in ihrer Politik! Sie haben sich mit den Elfen verbündet und gehen rücksichtslos gegen die Gnolle und Orks in den besetzten Gebieten vor!“
„Ha, wußte ich’s doch, daß du ein verkappter Antielfist bist!“, rief Jaheira. „Ihr Drow habt da eine fixe Idee. Immer, wenn etwas nicht nach euren Vorstellungen läuft, sind die Elfen schuld!“
„Hab ich das behauptet? Das ist eine Unterstellung! Wir Drow sind normalerweise ein friedliebendes Volk, nur werden wir immer wieder von den Menschen und den Elfen provoziert!“
„Ein friedliebendes Volk! Ein friedliebendes Volk!“, kreischte Moni. „DASS ICH NICHT LACHE!!! Ihr seid so friedliebend, wie eure Göttin Lhoth, dieses Spinnenvieh, das mit Menschen- und Elfenopfern befriedigt werden muß.“
„Nicht alle Drow beten zu Lhoth! Viele von uns beten wie ich zu Shar, der Göttin der Nacht.“
„Das sind doch alles Ausreden. Ausreden, sag ich! Wenn es nach uns Zwergen ginge, hätte man längst alle Drow aus Faerun verjagt. Aber uns Zwerge fragt ja niemand.“
„Weil ihr normalerweise auch keine so vernünftigen Vorschläge macht.“, meinte Jaheira.
„Was soll das denn nun schon wieder heißen? Fällst du mir jetzt in den Rücken, oder was? Typisch Elfin, kann ich nur sagen! Heimlich sympathisiert ihr immer noch mit den Drow, ihr seid ja sogar rassisch mit denen verwandt!“
„Das ist eine infame Verleumdung! Wie kommst du dazu, hier mit deinen rassistischen Äußerungen die Athmosphäre zu vergiften?! Ihr Zwerge seid doch vom Wesen her viel verwandter mit den Drow, immerhin lebt ihr normalerweise auch wie die Maden unter den Bergen.“
„Wie die Maden? WIE DIE MADEN? Dieser Dame hier sollte man vielleicht mal ihr Kettenhemd ein wenig stramm ziehen! Niemand beleidigt ungestraft das ruhmreiche Geschlecht der Zwerge!“
„Ruhmreiches Geschlecht - das ist mal ein guter Witz!“, zischte Bayan. „Gleich zwei Begriffe, die mit Zwergen nun nicht das geringste zu tun haben.“
„WENN DU DAS NOCHEINMAL SAGST, RAMME ICH DIR MEINEN KRIEGSHAMMER ZWISCHEN DEINE SCHLITZSPITZOHREN!!!“
„Leute, Leute!“, versuchte Sally, meine zuckersüße Sallyschnecke, die Situation zu entspannen, „Beruhigt euch doch wieder! Ich bin mir sicher, daß niemand hier am Tisch irgendwelche Sympathien mit den Attentätern empfindet. Am allerwenigsten wohl Bayan. Immerhin ist er ein Mann und die Männer werden bei den Drow unterdrückt, wie wir alle wissen. Die Drowmännchen müssen hinter ihren Frauen hinterherlaufen, dürfen tagsüber nicht allein aus dem Haus und nachts schon erst gar nicht, in Gegenwart einer Drow-Frau dürfen Drowmänner nicht reden... Da sind wir in unserer Gesellschaft bei den Menschen schon viel weiter, wir würden niemals unsere Männer wie Haustiere behandeln...“
„Will’s hoffen, Baby, will’s hoffen!“, warf ich ein.
„Ach Hank, wenn du nix Konstruktives beizutragen hast, mach den Kopp zu!“
„Aah – yeah...“
Ich trank in kleinen Schlucken.
„So generell kann man das nicht sagen, wir haben nur bestimmte kulturelle Traditionen...“, wollte Bayan korrigieren, doch Sally ließ ihn nicht ausreden.
„Bayan ist aus seiner Stadt geflohen, sein Haus wurde von den Radikalen unter den Drow vernichtet. Er ist ein politischer Flüchtling und es wäre nun unfair, ihm solche Verbrechen zur Last zu legen, die ultraorthodoxe Drow im Namen ihrer Spinnengöttig begehen.“
„Es ist immer noch nicht hundertprozentig bewiesen, daß es Drow waren! Woher soll man das denn bitteschön wissen, wenn doch alle Passagiere des Drachen anhiliert wurden bei dem tragischen Unfall?“
„Tragischer Unfall! TRAGISCHER UNFALL! Das ist typisch, so kann nur ein Drow reden!“, grummelte Moni.
„Jetzt halte dich bitte mal einen Moment zurück, Moni, okay?“, meinte Jaheira, „Und was den tragischen Unfall angeht, Bayan, so solltest du hier nicht auf zynische Weise verharmlosen. Das war ein gezielter Anschlag. Und es kann sich nur um Drow gehandelt haben, denn es standen lediglich zwei Elben und ein Menschenmädchen auf der Passagierliste. Du glaubst doch wohl selbst nicht, daß ein Mädchen und zwei Elben einen Drachen in ihre Gewalt bringen können, der ansonsten bis auf den letzten Sitzplatz mit Drow belegt ist? Man hat in den Trümmern Bombelbeeren, weiße Bohnen und Teppichmesser gefunden. Damit ist der Tatvorhergang doch wohl ziemlich lückenlos bewiesen, will ich mal annehmen.“
„D-d-das hast du schön ge-ge-ge-gesagt!“, trug Khalid seinen Teil zur Unterhaltung bei.
„Ja, Khalid, ist schon recht!“, meinte Jaheira und tätschelte sein Bein, ohne ihn anzusehen.
Mir wurde das Gespräch zu öde. Politik war nicht meine Sache.
„Kinders, ich bin müde und geh schon mal vor in die Heia.“, log ich und stand auf, „Kommst Du bald nach, Sally?!“
„Später vielleicht. Im Moment sind wir gerade so schön im Gespräch...“
„Na, dann laßt euch mal nicht weiter stören.“
Ich ging hoch zu den Schlafräumen, die uns Jaheiras Schwager zugeteilt hatte. Ich hatte ein Zimmer mit Sally zusammen. Ziemlich klein, aber sauber und warm und mit einem riesigen Doppelbett. Ich hängte das Schild „Bitte nicht stören!“ draußen an den Türknauf und schloß sicherheitshalber von innen ab. Nachdem ich die Schuhe abgestreift hatte, zog ich mir die Hose aus, legte mich auf das Riesenbett, spuckte in die Hand und fing an zu wichsen. Dabei dachte ich an Jaheira, an ihre spektakulären Beine, an ihr ultrakurzes Kettenhemd, an ihren Apfelbusen, der mitunter im Kettenhemd auf verbotene Weise hin und her wogte. Ich stellte mir vor, wie ich ihr dieses Kettenhemd runterriß, wie ich in jede Hand eine dieser Titten nahm und daran herumknetete. Ich malte mir bildlich aus, wie sie sich so ein bißchen sträubte und wehrte und wie ich ihr diese endlosen Beine auseinanderquetschte und mein Ding dazwischen reinsteckte und pumpte, pumpte, pumpte. Ob sie dabei wohl rumquietschte wie ein kleines Ferkel, oder ob sie auf die coole Tour rumstöhnte, so ganz tief aus dem Bauch heraus? Ich rubbelte und rubbelte und kriegte bald nen Krampf im Handgelenk. Aber ich konnte einfach nicht kommen. Es ging nicht. Irgendwas fehlte. Hatte ich ein schlechtes Gewissen?
Ich dachte an Sally. An meine Zuckerschnecke. An ihren Pfirsichduft, an die Art, wie sich ihre roten Locken auf meiner nackten Schulter anfühlten, an die Art, wie sie leicht zwischen den Zähnen flötete, wenn sie kurz davor stand, wie sie mit der Hüfte hin und her drehte, wenn sie mich ritt.
Prompt spritzte ich ab. So war ich nun mal: monogam selbst noch beim Masturbieren. Ich stand auf, ging rüber ins Bad und wusch das weiße Zeug runter, das mir bis auf die Brust gekleckert war. Dann trocknete ich mich ab und schaute in den Spiegel. Hank, du alter, dreckiger, romantischer Mistkerl, dachte ich.
Ich ging wieder rüber ins Schlafzimmer und legte mich auf’s Bett, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Ich starrte an die Decke und wartete auf Sally. Sally, die ich irgendwie liebte. Man hörte Gerede und Gelächter aus dem Schankraum heraufklingen. Das erinnerte mich daran, daß ich heute nur zwei oder drei kleine Bier getrunken hatte. An der Decke krabbelte eine nervöse Fliege hin und her. Dann ließ sie sich fallen, drehte ein paar Runden, landete auf dem Fenstervorhang und krabbelte nervös hoch und runter. Sie kratzte sich wie ein Hund mit dem Bein hinterm Ohr. Dann guckte sie eine Weile verdutzt und startete wieder, um noch ein paar Runden zu drehen. Was für eine Zeitverschwendung! Fliegen sollten sich lieber etwas beeilen, wenn sie’s im Leben zu was bringen wollten. Schließlich war es kürzer als das der meisten Leute. Diese Flieg würde keine großartige Karriere machen, soviel stand mal fest. Na und? Ich würde auch keine großartige Karriere mehr machen. Ich würde so herumliegen, mich regelmäßig besaufen, mir mit dem Fuß hinter den Ohren kratzen, das eine oder andere Gedicht schreiben und das war’s dann. Wir hatten viel gemeinsam, die Fliege und ich.
Jetzt flog sie eine elegante Achterschleife und landete dann auf meinem Bauch. Sie krabbelte runter zu meinen Sackhaaren, die noch nicht ganz trocken waren und fing an, dort mit ihrem Rüssel irgendwas zu saugen. Ich schlug sie tot.

Danach stand ich auf, zog mich an, schloß die Tür auf, nahm das Schild vom Knauf und ging schließlich nach unten. Ich setzte mich am Thresen auf einen Barhocker.
„Na, Hank?“, fragte der Schwager von Jaheira und schob mir ein Bier rüber, „Ich dachte, du wolltest schon knacken gehen?“
„Hhmm. Hab’s mir anders überlegt. Die Arschgesichter hier unten machen so einen Höllenlärm, da kriegt man kein Auge zu.“
Einige der Arschgesichter entlang der Theke schauten mich aus den Augenwinkeln an.
„Hör mal, ich will hier keinen Ärger, okay?“, warnte mich Jaheiras Schwager.
„Allright, ich auch nicht.“, murmelte ich. Die Arschgesichter wendeten sich wieder ihren öden Gesprächen zu. Ich konzentrierte mich auf’s Trinken. Manchmal guckte ich rüber zu dem Tisch, wo Sally mit den anderen saß. Sie redeten und redeten. Irgendwann würde das riesige Faß, in dem alle Wörter dieser Welt hin und her schwappen, leergeredet sein. Die Leute würden an seinem Boden entlangkriechen und verzweifelt nach ein paar übriggebliebenen Wörtern schürfen, sie würden die letzten Silben mit abgestumpften Messern von den Planken kratzen und rufen:“Hey, hier ist noch eine!“ Und dann weiterkriechen und kratzen und schließlich ganz verstummen. Und die Welt würde still sein, dunkel und kalt, und das wäre dann das Ende, die vollkommene Entropie, das hallende Schweigen.
Sally saß da, ich sah sie von hinten, manchmal fuhr sie sich mit der Hand durch die Haare oder zupfte ihren Pullover hinten runter über ihren phänomenalen Arsch. Wie ich sie liebte! Mir wurde ganz warm um’s Herz dabei. Jaheiras Schwager schob mir das siebte oder achte Bier rüber.
Jetzt ging die Eingangstür zur Schenke auf und drei komische Typen kamen rein. Ein ellenlanger Typ mit Wuschelhaaren Marke Biafra-Kind. Ein dickbäuchiger Knirps mit einem Hörnerhelm auf dem Kopf und einen riesigen Hammer hinter sich herschleifend. Ein Milchbubi mit Schmalztolle und einem Kasten unter dem Arm. Sie kamen rüber zur Theke und setzten sich links neben mich.
„Einen Tequila!“, sagte der Milchbubi zu Jaheiras Schwager.
„Ein Rattenbrötchen mit Ketchup für mich.“, bestellte der Knirps mit dem Bauch.
„Nichts!“ sagte der dürre Kerl. Als ich ihn erstaunt anschaute, erklärte er: „Ich bin auf Diät. Habe zuviel Speck angesetzt in letzter Zeit!“ Er griff sich zur Verdeutlichung an den Hals. „Siehste?! Hier – alles schwabbeliges Fett!“ Trockene, pergamentartige Haut knisterte zwischen seinen spitzen Fingerspitzen.
„Oder wartet einmal!“, unterbrach er sich selbst, zu Jaheiras Schwager gewandt, „Habt Ihr vielleicht Zigaretten? Roth Händle? Ja? Okay, davon hätt ich gern ein Päckchen bitte! Rauchen macht ja nicht dick, oder?!“
Seine beiden Kumpel glotzten ihn an wie eine Erscheinung.
„Hey, Skull, alter Junge, was ist mir dir los? Woher dieser plötzliche Anfall von Geschwätzigkeit? Soviel hast du in den letzten drei Wochen nicht mehr an einem Stück geredet! Fühlst du dich wohl?“, wollte der Milchbub wissen.
„Ja, Mann, bist du dir sicher, daß alles in Ordnung ist mit dir?“, erkundigte sich der dicke Knirps.
Der, den sie Skull nannten, drehte sich zu ihnen um und zog die rechte Augenbraue hoch. Es gab ein trockenes Geräusch, als die Haut am Schädelknochen entlangschabte.
„Mhm?!“, machte er.
„Na, dann bin ich ja beruhigt, war wohl nur ein vorübergehender Anfall.“, sagte der mit der Schmalztolle. Er knallte den Kasten, den er unter dem Arm getragen hatte, drängelnd auf den Thresen. „So – und was ist jetzt? Krieg ich endlich meinen Tequila oder was?!“
Jaheiras Schwager deutete mit dem Daumen auf ein verklebtes und verkleistertes Schild hinter seinem Rücken.
„Kein Alkoholausschank an Jugendliche!“, brummelte er zwischen den Zähnen hindurch.
„WIE BITTE?! Was soll das heißen, kein Alkoholausschank an Jugendliche?! Wo steht das? Auf dem Schild da? Auf dem Schild klebt der Auswurf tausender besoffener Barflys. Diese Vorschrift ist schon aufgehoben worden, als ich noch Bambi-Filme guckte und mir dabei die Tränen kamen! Das ist doch Blödsinn! Wir sind hier doch nicht in Salt Lake City bei den Mormonen! Ich will gar keinen Alkohol, ich will nur meinen Tequila haben, ohne Tequila werde ich ganz rammdösig, hey Mann, stell dich nicht so an, ich bin schon volljährig, ich weiß wirklich nicht...“
„Komm, schenk dem Jungen einen ein!“, sagte ich zu Jaheiras Schwager, „Wenn’s Ärger mit der Sitte gibt, nehm ich das auf meine Kappe.“
„Na gut, Hank, aber wehe, es gibt Stunk!“
„Keine Angst, das geht in Ordnung.“
„Hey Mann, danke, du bist korrekt, ey!“, meinte der Milchbubi und hielt mir seine Hand hin. „Du bist Hank, nicht wahr? Mich nennen sie Pali.“
Ich schüttelte ihm die Hand. „Freut mich, dich kennenzulernen, Pali.“
„Ja, Mann, freut mich auch, freut mich voll korrekt, Mann!“
„Hhmmm...“
Der Knirps mit den Hörnern auf dem Deckel stieß Pali zur Seite und hielt mir seine schwielenbedeckte Hand hin: „Ich bin Doc. Doc Sternau. Aber Ihr könnt mich auch einfach Doc nennen...“
„...wie alle Eure Freunde, was?“, ergänzte ich.
„Nein, ich habe keine Freunde, höchstens Verbündete.“, meinte der Zwerg. „Wahre Freundschaft verbindet mich nur mit dem Gold. Ich bin Goldschmied, müßt Ihr wissen!“
„Aaah – ja...“
Der lange dürre Kerl hielt mir seine Hand hin: „Skull!“
Die Hand fühlte sich an wie eine abgenagte Hühnerkralle. Ich drückte sie vorsichtig, um nichts zu zerbrechen.
„Angenehm – Hank ist mein Name.“
„- - -„
„Wiebitte?
„- - -„
„Na, wenn du meinst...“
„Hey Mann, du errätst nie, was ich hier in diesem Kasten drin habe!“, meinte Pali und deutete auf sein Mitbringsel. „Das ist ein voll krasses Gerät, sag ich dir, du errätst nie, was es ist. Wetten?“
„Um was wetten wir?“, fragte ich. Wetten waren eine meiner Leidenschaften.
„Hhm – keine Ahnung, schlag was vor!“
„Allright. Hast Du eine Schwester?“
„Ja klar, Mann, ich hab haufenweise Schwestern. Ich hab dermaßen viele Schwestern, daß ich schon gar nicht mehr weiß, wie ich mich an den Riesenhaufen von Mädchenschlüpfern, die bei uns zuhause den Flur bevölkern, noch vorbeiquetschen soll.“
„Gut. Also: Wenn ich die Wette gewinne, dann stellst du mich deinen Schwestern vor. Und wenn du die Wette gewinnst, dann stelle ich dich dieser Traumbraut da drüben vor.“ Ich deutete auf Jaheira.
„Das würdest du machen, Mann? Mich dieser Sahneschnitte vorstellen? Kennst du die überhaupt?“
„Worauf du einen lassen kannst!“
„Hhmm... Na gut. Ja, Mann, das ist fair, denke ich. Wenn du rauskriegst, was ich hier in diesem Kasten habe, dann stell ich dich meinen sämtlichen Schwestern vor. Top, die Wette gilt!“
„Ich hab drei Versuche, ja?“
„Klar doch! Nur zu!“
Die Schmalztolle grinste über sämtliche Backen.
Er gefiel mir. Alle drei gefielen mir. Sie waren verrückt, alle miteinander. Der eine ernährte sich von Stickoxiden, der zweite fraß Ratten und der dritte verhökerte seine Schwestern. Unter solchen Wahnsinnigen fühlte ich mich zuhause.