Schmierseife und Eisenkrise
In den ersten fünf Teilen passierte
nicht viel. Hank wurde reingelegt von zwei Mädels, so, wie er sich
immer von irgendwelchen Mädels reinlegen ließ. Sie stopften ihm ein
elektrisches Ding ins Ohr und prompt landete er im Cyberspace. Dort
geriet er an einige seltsame Zeitgenossen, an Frauen mit Bärten, an
Nigger mit spitzen Ohren, an stotternde Weicheier und kurvige
Rothaarige in fünfeckigen Zimmern. Im Zuge der allgemeinen
politischen Verhältnisse wurde einer seiner Spaziergangspartner von
ominösen Gestalten im Walde umgenietet. Nach dessen schwieriger
Bestattung gurkte Hank mit seinen Freunden etwas durch die Gegend und
landete schließlich im Freundlichen Arm, wo er sofort Anschluß an
die örtlichen Verlierer fand. Womit wir schon mitten drin wären...
Sie waren verrückt, alle miteinander.
Der eine ernährte sich von Stickoxiden, der zweite fraß Ratten und
der dritte verhökerte seine Schwestern. Unter solchen Wahnsinnigen
fühlte ich mich zuhause.
Was mochte in der Kiste sein? Drei
Versuche hatte ich. Sollte ich’s spannend machen? Mir war nicht
danach.
„Allright“, sagte ich, „du
Dreikäsehoch meinst also, ich würde nicht drauf kommen, was in
dieser Pappschachtel drin ist, wie?“
„Ja Mann, das rätst Du nie! Dagegen
war der Name von Rapunzel ein Kinderspiel!“
„Du meinst Rumpelstielzchen...“
„Der erst recht!“ Er nahm einen
vorsichtigen Schluck aus seinem Tequila-Glas, hustete, lief rot an
und steckte sich die dazugehörige Zitrone ins Gesicht. Sah damit
nicht besser aus. „Das mit der Reihenfolge hab ich noch nicht so
richtig drauf...“, murmelte er.
„Na gut, also drei Versuche hab ich,
right?! Und wenn ich’s rauskrieg, stellst du mir all deine
schnuckeligen Schwestern vor, so sieht
der Deal aus, korrekt?!“
„Ja, ja, ja! Nun mach’s nicht so
spannend, du kriegst es eh nie raus!“
„Ich weiß, was da in dieser Kiste
ist.“
„Gnagnagna! Wenn du’s weißt, dann
sag es doch!“
„Bist du dir sicher, daß ich’s
sagen soll?“
„Hundert pro!“
„Na gut. Ich sag’s dir in’s Ohr,
vielleicht sollen deine Kumpel ja lieber nix davon erfahren. Soll
ich’s dir flüstern?“
„Oh Mann, der zieht hier eine Show
ab! Aber von mir aus, flüster mir’s.“
„Na, dann neig dein grünes Ohr
rüber, Bruder!“
Er hielt mir seine Rübe hin und ich
sagte es ihm. Es traf ihn hart.
„Nein, das darf nicht wahr sein!“
„Stimmt doch, oder?!“
„Das – das...! Was – äh- woher,
ich meine... Wie konntest du das rauskriegen? Und gleich beim ersten
Vesuch?!“
Ich leerte mein Glas auf ex und lehne
mich sourverän zurück, soweit ich das auf dem Barhocker hinkriegte.
„Tja, Kleiner, bist eben an einen
Profi geraten...“
„Aber... - das ist unmöglich. Du
konntest es doch gar nicht wissen! Wir sind uns noch nie begegnet,
woher willst du da wissen...“
„Intuition. Schicksal. Kharma. Ich
kenn mich aus.“
„Aber da hätte doch alles mögliche
in der Kiste drin sein können! Zum Beispiel ein Videorekorder!“
„Dafür ist das Paket zu klein.“
„Naja, dann halt eine
Videocasette...“
„Zu groß.“
„Es hätten aber drei Videocasetten
zusammen sein können!“
„Zu flach.“
„Oder eine beschissene Sammlung DVDs
oder CDs oder Pornoheftchen von meinem Onkel!“
„Hätte sein können, aber dem ist
nicht so.“
„Das – das glaub ich einfach nicht.
Du hast das einfach so geraten?!“
„Yep.“
„Unglaublich. Ich fass es nicht.“
„Na, irgendwann wirst du’s schon
raffen. Wie sieht das mit deinen Schwestern aus, wo kann ich die
jetzt treffen?“
Er nuschelte irgendwas.
„Wie bitte? Du mußt schon etwas
lauter mit mir sprechen, ich bin ein altersschwacher Poet und meine
Ohre lassen langsam ein bißchen nach.“
„Ich – äh... Da ist ein kleines
Problem.“
„Jau!“, meldete sich der Zwerg zu
Wort, dem noch ein halber Rattenschwanz zwischen den Lippen
hervorragte. Schien sich irgendwie in seinem Bart verfangen zu haben.
„Pali kann Dir seine Schwestern nicht vorstellen...“
„Exakt!“, fügte das rauchende
Biafra-Kind hinzu.
„Und wo genau liegt da das Problem?“
Der Dreikäsehoch nahm eine Prise Salz
aus dem Schälchen, daß ihm Jaheiras Schwager neben seinem Tequila
gereicht hatte. Er verzog angewidert das Gesicht, biß herzhaft in
die Zitrone und dabei spritzte ihm ein Tropfen ins Auge.
„Arrrgh! ARRRGH! DIESE MIESE KLEINE
VERSCHRUMPELTE ZITRONE HAT MICH ANGEGRIFFEN! DIESE GELBE MÖHRE,
DIESES HINTERFOTZIGE GEMÜSE WILL MICH UMBRINGEN! KILLEROBST AUS DEM
ALL BEDROHT DIE MENSCHHEIT! ICH BIN VERLETZT, ICH MUSS IN DIE
NOTAUFNAHME, SOFORT, JETZT GLEICH, GESTERN!!!“ Er sprang auf, stieß
dabei seinen Barhocker um und hüpfte im Dreieck wie ein
minderjähriger Flummi. Es war eine gute Show. Wirkte fast
überzeugend. Etwas aufgesetzt vielleicht, aber an jeder Show gibt’s
noch was zu verbessern.
Das dachten sich die anderen Gäste
wohl auch. Ein paar hatten sich zu uns umgedreht. Sally natürlich
nicht, denn wenn jemand rumbrüllte, dann war normalerweise ich das.
Sally hatte sich angewöhnt, in solchen Fällen jeglichen Verdacht,
wir könnten zusammengehören, zu zerstreuen. Sie liebte mich
wirklich, aber jede Liebe hat ihre Grenzen und sich in der
Öffentlichkeit mit mir zu blamieren, war nicht Sallys Fall.
Die Leute merkten, daß der Kleine nur
eine Show abzog und daß wohl keine weiteren Pointen zu erwarten
waren. Also wendeten sie sich wieder ihren Getränken zu. Der
Magersüchtige, der Rattenfresser und ich schauten uns den
Kistentypen an, wie er da stand, sich mit beiden Händen das rechte
Auge hielt, so, als würde dort gleich eine ganze Welle von Blut und
Gekröse rausschwappen, und wohl darauf wartete, daß jemand auf sein
Stichwort hin die Szene weiterspielen würde.
„Hey, kann es sein, daß du mich hier
verarscht hast? Ich habe so den vagen Verdacht, du könntest gar
nicht allzuviele junge, willige Schwestern haben...“
„Hey, Chinasky, ich werde dir den
Ehrentitel Super-Marlowe an’s Revers heften!“, sagte der
Rattenfresser.
Der Dürre nickte dreimal bestätigend.
Knack, knack, knack.
“Tut mir leid, tut mir wirklich leid,
aber ich konnte doch nicht ahnen, daß du wirklich drauf kommen
würdest, was in der Kiste steckt…”, wimmerte der Kleine.
„Ich bin enttäuscht. Es bricht mir
das Herz. Du hast also einen gebrechlichen, schwerhörigen, alten
Mann hinters Licht geführt...“
„Ohne Absicht, ich schwör’s!
Keinesfalls wollte ich dich betrügen, das mußt du mir glauben!“
„Du hast mich also unbeabsichtigt
hinter Licht geführt?!“
„Naja...“
„Weißt du, was man dort, wo ich
herkomme, mit Falschspielern macht?“
„Ich – äh – nein?...“
„Ich auch nicht. Dort, wo ich
herkomme, spielt man nicht falsch. Keine Ahnung, was man dort mit
Falschspielern machen würde. Wahrscheinlich würde man ihnen die
Augen rausquetschen, die Glubscher in den Mixer stecken, eine Prise
Salz und etwas braunen Rum dazu und ein Viertel Limettensaft, dann
kräftig shaken und... Da fällt mir ein: Mein Glas ist schon wieder
leer.“
„Ich geb dir einen aus, ich geb dir
einen aus, ich geb dir einen...“
„Das will ich wohl meinen,
Falschspieler!“
Wir saßen am Thresen und die Stimmung
war ein wenig gedrückt. Der Betrug lag immer noch wie eine Furzwolke
in der Luft. Mir machte der Gestank nichts aus. Ich war’s gewohnt,
daß man mich anlog. Lügen waren das einzig Verläßliche in meinem
Leben. Alle und jeder logen mich an. Es mußte irgendwie auf meiner
Stirn eingaviert sein: Hey los, verarsch mich! Möglicherweise hatte
ich schon seit mehreren Jahren kein ehrliches Wort mehr gehört.
Vielleicht waren die Wahrheiten inzwischen abgeschafft. Ausgerottet.
Oder man hatte sie zumindest gut weggeschlossen. Ich hatte mich
längst dran gewöhnt.
Meine Eltern hatten mich angelogen, als
ich sie fragte, ob sie vor meiner Geburt gefickt hätten. „Nein,
haben wir nicht, aber jemandem, der so schmutzige Wörter in den Mund
nimmt, dem muß man den Mund mit Seife auswaschen!“, hatte mein
Vater gesagt. Und dann hatte der mir den Mund mit seiner großen, mit
Warzen übersäeten Hand aufgesperrt und mir Schmierseife eingeflößt.
Die Schmierseife, mit der meine Mutter zweimal die Woche das
Treppenhaus in unserer Mietkaserne schrubbte. Es war billige
Schmierseife, sie war ätzend und scharf und roch nicht etwa frisch,
sondern wie Salzsäure. So hatte sie auch geschmeckt und ich hatte
gerotzt und gespuckt, aber mein Vater fuhr mir mit seinen hornigen
Fingern in den Mund, zwängte ihn auf und schüttete noch eine Ladung
Schmierseife hinterher. Ich hatte mich auf den Boden geworfen und
geröchelt und vor lauter Tränen gar nichts mehr sehen können und
irgendwie hatte ich wohl was von dem Zeug geschluckt und ich mußte
kotzen und konnte nicht richtig, und meine Gedärme hatten angefangen
zu glühen und irgendwas zerriß in mir drin, wie ein überspanntes
Drahtseil, und schlug hin und her und zerfetzte meine Innereien. Und
so lag ich da, sieben Jahre alt, in der Soße aus Erbrochenem und
Spülseife und mein Vater stand breitbeinig über mir und sagte: „Wer
so schmutzige Wörter benutzt, der darf sich nicht wundern. Deine
Mutter und ich, wir machen sowas nicht, das merke dir ein für
allemal!“
Und sie hatten gelogen. Denn ein paar
Monate später kam ich früher nach Hause, als bei uns die Schule
ausfiel, weil unsere Englischlehrerin von der Bahn überfahren worden
war. Da hatte ich meine Eltern erwischt, wie sie fickten. Meine
Mutter hatte auf der Wohnzimmercouch gelegen und ihre wabbeligen,
weißen Beine hatten aus ihren altmodischen braun-ocker-karierten
Röcken hervorgeragt wie Maden aus dem Holz alter Bäume, wenn man da
die Rinde abriß. Dazwischen hatte mein arbeitsloser Vater gelegen,
unrasiert, pumpend und grunzend.
„Was glotzt du so dämlich, was
machst du überhaupt hier, fängst du jetzt schon an zu schwänzen?“,
hatte mein Vater da gebrüllt und war von meiner Mutter
runtergerollt, und auf den Teppich geplumpst. Dann hatte er aus
seiner Hose, die dort neben ihm lag, den Gürtel rausgezogen und mir
meine tägliche Portion verabreicht. Und zwischen den klatschenden
Schlägen, die mal wieder rote Streifen auf meinem Rücken
hinterließen, hatte sich mir meine erste wichtige Kindheitserfahrung
eingebrannt: ich hatte verlogene, verfickte Eltern.
Später dann hatte ich gemerkt, daß
alle so waren wie meine Alten. Alle logen und alle fickten und keiner
wollte das zugeben, und die, die behaupteten, sie würden gerne und
oft und viel und gut ficken, die waren die größten Lügner.
Die Frauen aber waren geschickter und
raffinierter beim Lügen. Meine Mutter beispielsweise hatte mich
damals, als mein Vater fertig mit mir war, beiseite genommen und zu
mir gesagt: „Henry, das war nicht richtig, was du da deinem Vater
angetan hast, er leidet genauso darunter, wenn er dich bestrafen muß,
wie du. Er leidet sogar noch mehr darunter, denn eigentlich liebt er
dich, und nur, weil er dich so sehr liebt, und weil er will, das ein
guter Mensch aus dir wird, deswegen muß er dich schlagen. Und Henry
– das, was du da eben gesehen hast, als du reinkamst, das... Das
hast du nie gesehen, haben wir uns da verstanden? Das hast du nicht
gesehen und deswegen wirst du es auch deinen Freunden nicht erzählen,
klar? Sonst muß dein Vater dich noch viel strenger erziehen, obwohl
er das gar nicht gern tut und obwohl er darunter so sehr leidet.“
So hatte meine Mutter gelogen und ich
hatte genickt, mit zusammengebissenen Zähnen genickt, und durch
einen Schleier auf meinen Augen hindurch hatte sie noch
verschwommener als sonst ausgesehen. Diese Lektion hatte ich gelernt.
Am nächsten Tag in der Schule, wo wir
jetzt eine frische Englischlehrerin hatten, da hatte ich zu meinem
Kumpel Hardy gesagt: „Meine Eltern ficken noch immer. Aber nicht so
wie deine, sondern anders. Mein Dad hat sein Ding meiner Mutter
hinten reingesteckt, weil es vorne nicht reinpaßte. Und da hat er es
drin stecken lassen und es war so groß und hart, daß er auf diesem
Ding sozusagen schweben konnte. Er schwebte über meiner Mutter,
freihändig, nur gestützt auf sein riesiges, hartes Ding, daß ihr
hinten drin steckte, wie eine Art Doppeldecker. Und wenn ich mal groß
bin, hat meine Mum gesagt, dann darf ich das auch mal probieren, dann
kann ich das auch, weil es sind die Gene von meinem Dad in mir drin
und mein Ding wird auch mal so groß und hart und gewaltig wie das
von meinem Dad...“
„Du spinnst doch, das kann doch gar
nicht sein!“, hatte Hardy gesagt.
„Und ob das sein kann! Ich lüge doch
nicht!“
„Dann schwör auf die heilige Bibel
und den Präsidenten, daß du die Wahrheit gesagt hast!“
Und so hatte ich also bei der Heiligen
Bibel geschworen, daß mein Vater auf seinem Schwanz wie ein
Doppeldecker über meiner Mutter geschwebt hatte und Hardy hatte mir
geglaubt und mich beneidet und in der Pause mein laffes
Erdnußbutterbrot gegen sein leckeres Sandwich mit Putenschnitzel
getauscht. Weil man sich gut stellen mußte mit Leuten wie mir, die
solche Gene in sich trugen.
Seither hatte ich alle Welt belogen,
so, wie alle Welt mich belog. Und die Frauen logen raffinierter und
auch komplizierter und das lag vielleicht daran, daß sie klüger
waren oder einfach mehr Übung im Lügen hatten, keine Ahnung. Und
jetzt hatte mich dieser Dreikäsehoch hier mit seiner Kiste unterm
Arm belogen und es war mir sowas von egal. Was hätte ich denn mit
seinen Schwestern anfangen sollen? Ich hatte Sally und Jaheira und
meine treue rechte Hand, wenn mal Not am Mann war. Mir machte es
nichts aus, daß man mich betrogen hatte. Im gegensätzlichen Fall
wäre ich mißtrauisch geworden...
Aber Pali schien vor Reue zerknirscht
und der Dürre neben ihm schien sich für seinen Kumpel zu schämen
und guckte angestrengt auf seine Spinnenfinger, in welchen er die
Kippe hielt. Der blaue Qualm, den er über sie hinwegblies,
überlagerte ihre nikotingelbe Färbung, sodaß sie grün erschienen.
Der Zwerg, dem sein Kumpel ebenfalls
peinlich war, bestellte noch ein weiteres Rattensandwich mit Ketchup
und dann noch eins und noch eins. Er verschlang sie mit einer
Geschwindigkeit, als müsse er für seinen dürren Kollegen mitessen.
„Mitesser!“, dachte ich bei mir und grinste dümmlich in mich
hinein, um dann ein weiteres Bier hinterherzuschütten.
Nach dem fünften Rattensandwich war
Schluß und der Zwerg rülpste, weil er wohl hoffte, damit die
Stimmung aufzuhellen, laut und vernehmlich.
„So!“, sagte er, „Das hat gut
getan. Und nun würde es mich aber doch mal interessieren, was du da
in deinem Paket drin hast, Pali! Was meinst du, Skull, was hat Pali
da drin?“
„Na, ratet doch mal!“ Pali hatte
wieder Oberwasser. „Da kommt ihr nie drauf!“
„So schwer kann es nicht sein, wenn
dieser alte schwerhörige Lyriker das gleich beim ersten Versuch
rausgekriegt hat!“
„Na dann – rate mal!“
„Hhm... Was meinst du, Skull, was
könnte er da drin haben?“
„- - - „
„Naja Skull, du bist nicht immer eine
wirkliche Hilfe. Okay, ich rate mal: Du hast da drin einen
Mini-DVD-Player.“
„Falsch.“
„Dann sind es ein paar Ausgaben der
CINEMA.“
„Wieder falsch, hehe!“
„Bin ich denn wenigstens nahe dran?
Ich meine: äh – kalt oder heiß?!“
„Kalt wie ein Fisch!“
„Es hat nichts mit Filmen und Video
zu tun?“
„Hehehe!“
„Och komm, du kannst ruhig mal einen
kleinen Hinweis geben!“
„Hehehehehe!“
„Pali, du bist doof!“
„Nein, du bist doof, du kommst nicht
drauf!“
„Och Mönsch... Du könntest ruhig
mal... Skull, was meinst du, sollte er uns nicht mal einen winzig
kleinen Tipp geben...?“
„ - - - „
„Hehehehehehehe!“
„Hank, wie wär’s, gib du mir doch
mal nen Hinweis, wenigstens so die grobe Richtung!“
„Hhmm. Ich weiß nicht, ob das
korrekt wäre. Das wäre ja sowas wie Schummeln, oder?“
„Aber es braucht ja nur ein ganz,
ganz winziger Hinweis zu sein. Zum Beispiel: Hat es im entferntesten
etwas mit Videos zu tun? Ich meine: im
Allerallerallerallerentferntesten?“
„Nun, also, äh...“
Jemand tippte mir von hinten auf die
Schulter. Sally.
„Hank, ich bin müde, ich geh jetzt
hoch. Kommst du?“
Ich breitete bedauernd die Hände aus.
„Tja, Jungs, tut mir leid, aber ich muß wohl mal. War nett, euch
kennengelernt zu haben!“
Ich stieg von meinem Barhocker runter,
legte zwei Fingerspitzen an die Stirn und nickte ihnen zu. Dem dünnen
Schweigsamen, dem ketschupverschmierten Zwerg und dem Wettanfänger
mit seiner Kiste. Dann griff die Schwerkraft nach mir und warf mich
sanft hin und her, wie es immer so nach fünfzehn oder zwandzig Bier
der Fall sein sein pflegte. Ich torkelte, wurde aber von ein paar
hinter mir stehenden Tischen und einer Wand behutsam in die richtige
Richtung geschubst, und dann heftete ich mich meiner lieben Sally an
die Hinterlichter, die da so herrlich kurvig vor mir wogten und
wippten, während sie vor mir die Treppe hochstieg.
Als wir in unserem Zimmer angelangt
waren, zog Sally irritiert ihr Näschen kraus.
„Sag mal, hier riecht es aber
irgendwie komisch, findest du nicht?“
„Nö, wieso?“
„Na, dieser Geruch, als wenn
jemand... Sag mal, Hank, hast du dir hier vorhin einen abgehobelt?“
Ich wankte auf sie zu, und umfing sie
mit meinen starken Armen. „Sally-Babe, wie kommst du denn auf so
eine Idee? Wer sowas wie dich hat, der wäre doch schön doof, sich
selbst den Saft abzudrehen, oder?“
„Hhm... Naja, da ist was dran, Hank.
Also los, dann zeig mir mal, wie gut du im Saft stehst!“
Sie zog mich lasziv in Richtung des
Bettes. Dabei kamen wir gemeinsam ins Stolpern und wahrscheinlich riß
sie mich durch ihr Gewicht mit um, und so landeten wir beide auf den
Bodendiehlen.
„Hank, du bist ja stockbesoffen!“
„Hmpf?!“
„Hank, du zerquetschst mich ja!“
Das war das Letzte, was ich an diesem Abend hörte. Falls ich es noch
hörte. Wahrscheinlich war ich schon vorher eingeschlafen.
„Aufstehen! AUFSTEHEN!!“
Jemand machte sich mit einer
Brechstange an meinen Augenlidern zu schaffen. Es war das fahle
Morgenlicht, welches sich rücksichtslos durch das Fenster Bahn
brach, nachdem Sally eben gerade die Vorhänge beiseite geschoben
hatte.
„Los, Hank, du nasser Sack, krieg
deinen Hintern hoch, wir müssen los!“
Ich lag da, wo Sally mich am Abend
vorher von sich heruntergewälzt hatte, also auf dem kalten
Holzfußboden. Alle zweihunderdreiundsiebzig Knochen im Leib taten
mir weh. Ein riesiger, schmutziggrauer Kater hatte seine Krallen
ausgefahren und ratschte damit an der Innenseite meines Schädels
entlang. Mit einem Geräusch, als würde er das auf einer
Schiefertafel tun. Ich hatte heftigen Durst. Und mußte dringend
shiffen. Und wollte doch lieber liegenbleiben, das schien mir am
sichersten.
Sally trillerte so vor sich hin. Sie
ging hier hin, sie ging da hin. Packte ihre Sachen. Ihre Sachen? Was
sollte das? Wo wollte sie hin?
„Sally, was ist los, verdammte
Puddingsoße? Was machst du für eine Thermik?“
„Wir müssen gleich los. Sind für
halb sieben unten im Schankraum mit den anderen verabredet.“
„Verabredet? Mit wem? Und was bitte
soll das für eine Uhrzeit sein: halb sieben?! Sowas gibt's nicht, und keinesfalls vormittags!“
„Stöhn nicht rum, sondern sieh
zu, daß du endlich deine eigenen Siebensachen zusammgegepult
bekommst. Die anderen warten auf uns.“
„WELCHE ANDEREN? WAS WIRD HIER
GESPIELT?“
„Ah, so langsam wird mein Schatzilein
also wach, wie? Anstatt zu brüllen solltest du dir vielleicht
lieber mal die Zähne putzen, du stinkst nämlich aus dem Mund!“
Ich träumte sicherlich noch. Kein
Mensch stand morgens um vor halb sieben auf. Das war nicht
eingeplant. Davon hatte man mir bei meiner Geburt nichts gesagt. Aber
Sally schien es ernst zu meinen. Sie ging rüber ins Bad und ich
hörte sie weiter trällern, während sie sich ihre Haare kämmte.
Diese unglaublichen, rotgoldenen, kilometerlangen Haare, mit denen
sie auf jeder Kreuzung den Verkehr lahm legen konnte.
„Sally, jetzt sei doch mal
vernünftig!“, krächzte ich, während ich versuchte, mich langsam
von der liegenden in eine sitzende Position zu bringen. „Ihr könnt
unmöglich vereinbart haben, zu nachtschlafender Zeit euch zu treffen
um – um... Äh, warum wollt ihr euch überhaupt treffen? Und warum
packst du? Es ist doch schön hier.“
Sie kam aus dem Badezimmer zurück. Wie
aus dem Ei gepellt. Eine rothaarige Morgengöttin, eine eigene Art
Sonnenaufgang, eine schrecklichschöne Naturgewalt. Sie setzte sich
auf das Bett und schaute auf mich herunter.
„Also nochmal zum Mitschreiben: Wir
werden uns gleich mit den anderen treffen, mit Moni, Bayan, Khalid
und Jaheira. Und dann werden wir losziehen nach Nashkell.“
„Nashkell? Was soll das denn sein? Wo
liegt das, wozu ist das gut?“
„Nashkell, das ist dieser
Bergarbeiterort im Süden.“
„Aber was, verflixt nochmal, haben
wir da denn verloren?“
„Wir müssen herausfinden, was das
mit der Eisenkrise auf sich hat.“
„Eisenkrise? Was für eine
Eisenkrise?“
„Mensch Hank, wenn du dich mal von
etwas anderem als von Bier ernähren würdest, hättest Du schon
längst mitgekriegt, daß das Eisen hierzulande Schrott ist. Es gibt
kein vernünftiges Eisen mehr, wenn man versucht, eine Hühnerbrühe
zu essen, bricht der Löffel schon beim Umrühren ab.“
„Hühnerbrühe? Löffel ab? Sag mal,
Sally, bist du dir sicher, daß es dir gut geht?“
„Ja mein Schatz!“ Sie stand auf,
machte sich an ihrer Reisetasche zu schaffen. „Mir geht es sehr
gut. Ich habe gestern abends einen gesunden Salat gegessen und
Mineralwasser getrunken und eine lange, interessante politische
Diskussion mit meinen Freunden gehabt. Während jemand anderer sich
sinnlos besaufen mußte und nun nicht weiß, was in der Zeitung
steht.“
„Man kann sich nicht sinnlos
besaufen!“, protestierte ich, aber es war ein matter Protest.
Sie guckte mich an. Auf diese bestimmte Art...
Sie guckte mich an. Auf diese bestimmte Art...
„Okay, also gut, ich habe mich
sinnlos besoffen. Aber nun sag mir doch bitte genau, was dieser
Trubel jetzt soll. Ich versteht immer nur Eisenkrise. Das kann doch
nicht dein Ernst sein, oder? Wenn du ne Eisenkrise hast, dann iß
mehr Spinat oder nimm Tabletten...“
Sie seufzte: „Hank, es gibt eine
wirtschaftliche Eisenkrise. Die gesamte Schwertküste ist davon
betroffen. Und obendrein ist da die Sache mit dem Attentat auf den
großen Deumel in Baldurs Tor. Das kann kein Zufall sein. Da ist eine
Verbindung. Die Welt ist bedroht. Man muß etwas unternehmen.“
„Was bitteschön wollt ihr denn da
unternehmen?“
„Naja, das Übliche eben.
Anhaltspunkte sammeln. Die Bösen jagen. Das Komplott aufdecken. Die
Welt muß gerettet werden.“
„Da bin ich skeptisch. Warum sollte
sie gerettet werden? So früh am Morgen? Warum sollen
ausgerechnet wir das besorgen? Solche Jobs sollte man Profis
überlassen.“
„Irgendjemand muß es tun, oder? Und
wir sind schon involviert. Denk dran, was mit Gorion passiert ist.“
„Jaja, ich kann mich genau erinnern. Durfte ihn mit bloßen Händen verscharren und hab mir dabei die
Fingernägel gebrochen und nicht nur das!“
Sally verdrehte die Augen und seufzte
erneut. Dann zurrte sie den Verschluß ihrer Tasche fest und ging zur
Tür. „Okay, wir warten unten auf dich. Du hast ‚ne
Viertelstunde. Wenn du bis dahin nicht unten bist, ziehen wir ohne
dich los. Aber glaub bloß nicht, daß Jaheiras Schwager dir dann
noch einen Schluck Wasser kostenlos überläßt. Es ist deine
Entscheidung!“
Vierzehn Minuten später humpelte ich
die Treppe runter in den Schankraum. Mein Kopf dröhnte. Meine Beine
bestanden aus Latex. Meine linke Schulter, auf der ich geschlafen
hatte, war immer noch gefühllos und der Arm hing schlaff wie eine
Wurst an meiner Seite herab. Aber ich war im Zeitplan. Meinen
Rucksack zerrte ich hinter mir her die Stufen runter. Plop, plop,
plop!
Die anderen saßen schon unten um einen
Tisch und frühstückten. Ich roch gebratene Eier und frischen Kaffee
und aufgebackene Brötchen. Ein Würgen stieg in meiner Kehle auf,
ich lief stumm an ihrem Tisch vorbei, erreichte die Haupttür, machte
einen Satz nach draußen und kotzte auf die große Eingangstreppe.
Danach ging's mir besser und ich hatte Hunger.
Nachdem ich mir die letzten Schleimbröckchen aus den
Mundwinkeln gewischt hatte, ging ich rein, frühstücken.
Doch die anderen waren schon fertig und Jaheiras Schwager räumte den Tisch ab. Gerade, als ich mich hingesetzt hatte, standen die
anderen auf.
„Los geht’s!“, sagte Babydoll
Moni fröhlich und tätschelte einen Riesenvorschlaghammer, den sie
immer mit sich herumschleppte.
„Ja, es wird Zeit!“, sagte Bayan.
„W-w-wer ra-ra-rastet, d-d-d...“
„... der rostet!“, ergänzte
Jaheira ihren Liebhaber.
„Also auf in’s Vergnügen!“,
schloß Sally und warf sich schwungvoll ihre Reisetasche um.
„Hanky-Babe, bist du soweit?“
Ich war so müde...
An dem dunkeln, hinteren Ende der Theke
saßen die drei seltsamen Typen vom Vorabend. Der Kopf den Dürren
lag in einem riesigen, überquellenden Aschenbecher. Er schien zu
schlafen. Der Typ mit dem Paket stierte glasig vor sich hin. Unter
seinem Barhocker lag ein Haufen ausgequetschter Zitronenschalen. Der
Zwerg neben ihm ließ nicht locker. Er zerrte und zwirbelte in seinem
Bart. Ich hörte ihn nuscheln: „Vielleicht ein Gesundheitsball, aus
dem die Luft raus ist? Nein?“
Pali schüttelte den Kopf und kicherte
schwachsinnig in sich hinein. „Hihihihihihihi...“
„Eine Kronkorkensammlung aus Mexiko?“
„Nö, hihihihihihihi....“
„Die Memoiren eines vegetarischen
Massenmörders?!“
„Gngngnhihihihihihi...“
„Hey Jungs!“, rief ich zu den
dreien rüber. „Wir machen uns hier vom Acker! Laß euch nicht
hängen!“ Keiner der drei achtete auf mich. Der Dürre wirbelte
beim gleichmäßigen Ausatmen kleine Aschewölkchen auf. Ich fragte
mich, ob es nicht verrückter war, morgens um halb sieben die Welt
retten zu gehen als in einem vollen Aschenbecher seinen
Schönheitsschlaf zu machen. Dann trottete ich den anderen hinterher.
Wir gingen zu Fuß. Es gab keine Busse,
keine Taxis, keine Vorstadtbimmelbahn. Nichts. Kein verschissener
Heuwagen mit Ochsen vorne dran war unterwegs, bei dem wir Anhalter
hätten spielen können. Die Straße war leer. Normale Menschen waren
um diese Zeit nicht unterwegs. Es war neblig, es nieselte, und der
Weg bestand größtenteils aus Schlaglöchern und Pfützen. Man mußte
quasi von Stein zu Stein hüpfen. Diese Steine waren naß und man
rutschte immer wieder aus. Nach nicht mal eine Stunde war ich von
oben bis unten durchnäßt, dreimal auf die Schnauze geflogen und
hatte mir dabei das rechte Knie angeknackst. Den anderen schien das
Wetter nichts auszumachen.
„Es gibt kein schlechtes Wetter, es
gibt nur falsch angezogene Leute!“, hatte Moni gesagt, die sich
einen gelben Ölmantel über ihren Panzer gezogen hatte.
Alle hatten Regenjacken dabei. Nur ich
nicht. Sally hatte mir mal eine geschenkt, aber die hing im Schrank
im Freundlichen Arm. Ich fluchte vor mich hin, während ich mich zum
vierten Male lang legte. Mitten in eine besonders große, schlammige
Pfütze. Ich überlegte, ob ich nicht liegenbleiben und das Ende
dieses Albtraums abwarten sollte. Da hörte ich ein Grunzen. Ich hob
den Kopf und starrte durch den Nebel. Die anderen waren
stehengeblieben und starrten ebenfalls.
„Ein Oger!“, flüstert Bayan.
„Ein Oger? Bist du dir sicher?“,
wollte Jaheira wissen.
„Garantiert.“
„Was machen wir jetzt?“, fragte
Sally, ebenfalls flüsternd.
„Den machen wir kalt.“
„Was ist los?!“, fragte ich, und
drückte mich aus der Pfütze hoch. „Du willst einen fremden
Menschen einfach so umbringen?“
Bayan sah mich aus seinen violetten
Augen verächtlich an. „Na sicher! Nur ein toter Oger ist ein guter
Oger!“
„Das ist doch Wahnsinn, man kann doch
nicht andere Leute nur ihrer Rasse wegen töten!“
„Oger verdienen es nicht, zu leben.
Das sind keine Menschen, das sind Monster!“
Bayan war offensichtlich wahnsinnig, in
ihm schien ein unkontrollierbarer Rassenhaß zu stecken. Ich mußte
ein Unglück verhindern. Es galt zu handeln. Jetzt.
Ich sprintete los in Richtung des
Grunzens und schrie dabei: „Hallo, hallo! Achtung, Herr Oger, passen Sie
auf, Sie befinden sich in großer Gefahr man trachtet nach Ihrem Leben!“
Ich gewahrte eine Silhouette im Grau
des Nebels. Sie kam näher. Sie wurde größer. Und größer. Und
noch größer. Und ich hörte erneut ein Grunzen. Eine gurgelnde
Stimme gröhlte: „Stirb, du quietschende Ratte!“
Die Silhouette nahm langsam Konturen
an. Sie ragte so um die drei Meter empor. Grob geschätzt eine
dreiviertel Tonne. Der Typ, dieser Oger, trug eine unbehandelte
Baulatte in der Hand. Er war kahlköpfig und, soweit sein Körper
nicht von einer nietenbesetzten Ledermontur verdeckt wurde, von oben
bis unten tätowiert. Es waren Totenköpfe zu sehen und Adler, die
mit Schlangen kämpften. Auf seinem rechten Oberarm war ein rotes
Herz eingraviert, das von einem Pfeil durchbohrt wurde. Darunter
stand: Love Mammi.
Auf der Stirn war ebenfalls ein Spruch
eingeschrieben: Die welt ist scheitze, ich hase euch alle!
"Der Kerl muß eine harte Kindheit
hinter sich haben", dachte ich noch, während die Dachlatte in den
Händen des Ogers auf mich zukam. Zum Glück rutschte ich aus und sie zischte pfeifend über mich hinweg. Vielleicht war meine
Taktik, offen auf die Leute zuzugehen, in vorliegenden Fall nicht die
idealste Wahl gewesen. Der Tätowierte holte erneut aus. Ich sah seine
verfaulten Zähne, als er, hocherfreut, mich vor ihm in einer Pfütze
liegen zu sehen, breit grinste. Es waren wirklich sehr schlechte
Zähne. Er roch aus dem Mund, das konnte ich selbst auf diese Distanz
riechen. Schade, dachte ich, schade, daß es so schnell vorbei ist.
Ich hätte mir schöneres Wetter zum Schluß gewünscht.
Dann krachte es. Die schlechten Zähne
über mir verschwanden und wurden durch Monis Vorschlaghammer
ersetzt. Sie hatte das Ding geworfen!
Ein Pfeil durchbohrte das Herz auf dem
Oberarm des Ogers. Schneller, als ich hätte blinzeln können,
folgten zwei weitere Pfeile, die sich dem Kerl in die Augen bohrten.
Er ließ die Dachlatte fallen. Vielleicht wollte er etwas zur Sache äussern, aber ohne Unterkiefer bestanden gewisse anatomische
Hindernisse. Bayan schickte drei, vier, fünf weitere Pfeile, die
sich dem Riesen in den Hals bohrten. Er wankte. Wie in Zeitlupe. Das
ist in Filmen auch immer so. Er fiel. Ratet mal, auf wen...
2 Comments:
Schön, dunkel, dreckig und wunderbar politisch inkorrekt. Ein paar Passagen könnten ruhig noch dreckiger sein. Der Teil mit der Schmierseife ist perfekt gelungen.
Ich geb dir jederzeit einen aus, Hank.
Garf, Halbork
Dank Dir, Grüner! :-)
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